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Kapitel 26

 

Vater und Tochter

 

 

 

 

„Deine Mutter hat diesen Ausblick geliebt.“

 

Ich zuckte leicht zusammen als ich die ruhige Stimme meines Vaters hinter mir hörte. Es war noch ziemlich früh am Morgen und ich hatte - ehrlich gesagt - nicht mit ihm gerechnet. Ich war mal wieder von Alpträumen geplagt worden und hatte danach nicht mehr einschlafen können, also hatte ich mir die Wolldecke, die als Zusatz über meinem Bett lag, über meine Schultern gelegt und war nach draußen auf den Balkon gegangen. Ich stand nun schon beinahe eine Stunde hier draußen und langsam begann die Sonne hinter dem Horizont hervorzukriechen. Wenn ich ausblendete, dass ich gerade mitten im Meer in einer  uralten Alienstadt stand, dann fühlte ich mich beinahe wie auf der Erde.

 

Ich drehte mich zu meinem Vater um und sah, dass er mir bereits einen Schritt entgegengekommen war und mir eine Tasse entgegen streckte. Es war Kakao. Ich musterte den Kakao etwas skeptisch. Schon zu Hause in Deutschland hatte ich Kakao gehasst, der aus dem Automaten kam, den, der mit Wasser anstatt mit Milch gemacht wurde.

 

„Heiße Milch mit Nougatcreme“, erklärte mein Vater dann mit einem leichten Grinsen und ich musste zurücklächeln. Ja, ich war meiner Mutter eindeutig sehr ähnlich, und anscheinend hatte er nicht vergessen, dass sie genauso über Kakao dachte wie ich. Als ich die Tasse auf dem Geländer abstellte und wieder den Sonnenaufgang beobachtete, sah ich aus dem Augenwinkel, wie mein Vater sich neben mich stellte.

 

„Hat sie oft hier gestanden?“, fragte ich ihn dann nach einigen Augenblicken, in denen wir nur zusahen, wie die Sonne langsam die Wasserlinie überquerte und nun vollkommen zu sehen war. Im ersten Moment nickte mein Vater nur und ich konnte an seinem Gesicht sehen, dass ihn der Gedanke an meine Mutter schmerzte, wahrscheinlich begriff er immer noch nicht, warum sie ihn einfach verlassen hatte, warum sie ihm nie von mir erzählt hatte. Aber durch die Tatsache, dass ich ihn immer noch ansah, schien er zu bemerken, dass ein einfaches Nicken mir als Antwort nicht reichen würde. Ich wollte mehr über meine Mutter erfahren, wollte wissen, was sie für ein Mensch gewesen war, bevor sie wegen mir alles aufgegeben hatte.

 

„Sie ist jeden Morgen extra eine Stunde früher aufgestanden, wenn sie nicht auf Außeneinsatz war, nur um sich diesen Sonnenaufgang anzusehen“, erklärte er dann und sah mich an. „Es erinnerte sie an Zuhause.“

 

„Mich auch“, gab ich zu und sah wieder in die Ferne.

 

„Sie war glücklich hier in Atlantis, es war für sie ein Neuanfang gewesen, aber dennoch vermisste sie die Erde, wie wir alle“, erklärte er weiter und ich war überrascht, dass er weiter redete, obwohl ich ihn nicht mehr ansah. „Bevor deine Mutter herkam, hat sie viel verloren, weißt du. Ihr Mann Ralf starb bei einem Autounfall.“

 

Jetzt musste ich meinen Blick doch wieder vom Sonnenaufgang abwenden. Mein Vater musste mein entsetztes Gesicht gesehen haben, denn er deutete mit einem Wink zum Tisch an, dass wir uns besser setzen sollten.

 

„Deine Mutter hat nie viel darüber gesprochen. Sie hatte die Chance nach Atlantis zu kommen wahrgenommen, um ein neues Leben zu beginnen, um das alles zu vergessen. Um ehrlich zu sein, glaube ich, dass außer mir und vielleicht zwei drei anderen niemals jemand etwas davon erfahren hat.“

 

Eine Gänsehaut breitete sich über meinen gesamten Körper aus und ich spürte förmlich, wie meine Augenbrauen sich traurig zusammenzogen und meine Stirn sich in Falten legte, die eigentlich in meinem Alter nicht hätten dort sein sollen. Meine Mutter hatte sich niemals etwas davon anmerken lassen, und auch meine Großeltern hatten nie darüber geredet, hatten Ralf Lindbruch nie erwähnt. Ich dachte an die ganzen Geschichten, die man schon mal hörte oder las, dass jemand seine Vergangenheit so sehr verdrängte, dass es sie nicht mehr gab und anscheinend war meine Mutter ziemlich gut darin gewesen, Sachen zu verdrängen, die ihr unangenehm waren.

 

„Sie hat nie wirklich über ihn gesprochen, ich glaube, es gab nur ein einziges Mal, wo sie mir von ihm erzählt hat, und da stand sie unter dem Einfluss einer seltsamen Substanz, die sie in irgendwelchen Pilzen gefunden hatte.“ Laut meinem Vater musste Ralf Lindbruch ein anständiger Mann gewesen sein, ein Lehrer, den meine Mutter während ihres Studiums kennen gelernt und ziemlich schnell nach dem Studium geheiratet hatte. Wenige Monate später war er dann auf dem Weg zur Schule in einen Stau geraten und der LKW-Fahrer hinter ihm hatte das Stauende und damit den Mann meiner Mutter nicht gesehen und hatte ihn buchstäblich in den Kofferraum seines Vordermannes geschoben.

 

„Er starb noch auf der Autobahn“, schloss mein Vater die Erzählung und ich musste schlucken. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie das für meine Mutter gewesen sein musste.

 

„Wie geht es mit deinem Kelno’reem voran?“, fragte mein Vater dann, wahrscheinlich um von dem doch sehr bedrückenden Thema abzulenken, das wir eingeschlagen hatten. Ich machte nur eine verzweifelte, abfällige Handbewegung. Ich war immer noch nicht wirklich in der Lage zu meditieren, auch wenn ich es mittlerweile schaffte, mich auf meinen Atem zu konzentrieren und einmal sogar nicht mitbekommen hatte, wie Teal’c mich etwas gefragt hatte, und das ohne dass ich geschlafen hatte. Ich war einfach viel zu konzentriert gewesen, als dass ich etwas anderes als meinen Atem wahrgenommen hatte, leider hatte das nicht lange angehalten und war auch nur ein einziges Mal vorgekommen.

 

„Meinst du, Kevin wird es heute besser hinbekommen?“, stellte ich nun eine Frage und ich brauchte sie nicht präziser zu stellen, damit mein Vater wusste, wovon ich sprach.

 

„Wahrscheinlich, zumindest wenn du nicht wieder Angst vor Spatzen bekommst“, bemerkte mein Vater und trank grinsend einen Schluck seines Kaffees. Leider hatte er damit Recht. Bei unserer letzten Einheit hatte ich etwas Angst gehabt und meinen Freund so in seiner Aufgabe blockiert, dass mein Vater mich erst hatte ablenken müssen, bevor Kevin es geschafft hatte, die Tarnung auszuschalten.

 

„Nein, ich denke, ich werde mich heute etwas … besser konzentrieren können“, versprach ich ihm und er nickte mir zu. Ich wollte Kevin ja auch nicht behindern, immerhin war er mein bester Freund, er war einer der wenigen gewesen, die mir nach dem Tod meiner Mutter Halt gegeben hatten.

 

Und dann fiel mir auf einmal die Frage ein, die ich eigentlich schon hatte wissen wollen, als ich noch auf dem Weg hierher nach Atlantis gewesen war.  „Hat Mama Kinder gewollt?“, fragte ich daher meinen Vater und er sah mich einen Moment abschätzend an. Dann nahm er noch einen Schluck seines Kaffees und lehnte sich hinten an seiner Stuhllehne an.

 

„Ich wünschte, ich könnte dir sagen, dass du geplant warst, ich wünschte es wirklich. Denn dann hätte ich vielleicht geahnt, warum deine Mutter weggelaufen ist, aber es war nicht so“, fing mein Vater an und ich sah in seine Augen, dass das, was er sagte, wahr war. Natürlich hatte ich schon länger geahnt, dass ich ungeplant gewesen war, aber es nun wirklich zu hören, war doch noch einmal etwas anderes. Aber da ich es erwartet hatte, traf es nicht so hart. „Deine Mutter hat öfters davon gesprochen, dass sie einmal Kinder haben wollte, dass ihr die Situation mit den Wraith jedoch zu gefährlich war. Mir ging es nicht anders. Wir waren beide im richtigen Alter und die biologische Uhr sagte uns, dass es Zeit war, während die Vernunft uns davon abriet. Aber letztendlich bin ich glücklich, dass die biologische Uhr gewonnen hat.“ Er nahm meine Hand, die fest um die wärmende Kakaotasse geschlossen war, in seine und drückte sie leicht.

 

„Ich war geschockt, als wir eine Nachricht von General O’Neill erhielten, dass  Izzy ermordet worden war und dass ihre Tochter, meine Tochter, nach Atlantis kommen würde. Ich dachte wirklich, jemand wolle sich einen Scherz mit mir erlauben, immerhin hatte ich seit 16 Jahren nichts mehr von Izzy gehört.“ Ich merkte, dass es ihm schwer fiel, das zu sagen, was er sagte und irgendwie hatte ich Mitleid mit ihm, also legte ich meine noch freie Hand auf seine andere und es fühlte sich seltsam vertraut an.

 

„Es tut mir leid, dass ich so … scheußlich zu dir war, Dad“, sagte ich dann und ich merkte, wie nun doch langsam Tränen in mir aufstiegen. Es war gut, endlich das auszusprechen, was sich in den letzten drei Wochen, die ich nun auf Atlantis war, in mir aufgebaut hatte. Es tat mir wirklich leid, wie ich ihn behandelt hatte und je mehr ich über die Umstände erfahren hatte, desto mehr hatte ich gelernt, eher Mitleid für meinen Vater zu empfinden als Wut. Er war wahrscheinlich neben mir einer der einzigen, die wirklich nicht an unserer Situation Schuld trugen. Mein Vater zog dann vorsichtig meine Arme über den Tisch, dass ich aufstehen musste und führte mich dann zu ihm. Es war seltsam, immerhin war ich schon 16, aber er zog mich auf seinen Schoß und hielt mich fest, als wäre ich gerade einmal 6. Doch es tat gut und es war ein so grundlegend anderes Gefühl als damals, als meine Mutter mich so zu beruhigen versucht hatte.

 

„Es war schwer für uns beide, Maggie, aber ich bin froh, dass es sich eingerenkt hat“, sagte er dann und zum ersten Mal küsste ich ihn leicht auf die Wange. Dann stand ich wieder von seinem Schoß auf und nahm die Tasse Kakao auf.

 

„Ich denke, wir sollten uns langsam auf den Weg in die Kantine machen, der Tag beginnt“, sagte ich und zeigte auf meine kleine Armbanduhr. Mein Vater nickte nur, und schnappte sich ebenfalls seine Tasse. Dann verschwanden wir beide in unseren Quartieren. Während ich mich langsam für den nächsten „Schultag“ fertig machte, schlürfte ich noch an den letzten Resten Kakao und musste leicht grinsen, als ich am unteren Rand der Tasse eine dicke Schicht Nougatcreme sah.  Diese Schicht war immer das Beste am ganzen Kakao gewesen.

 

Auch meine Mutter hatte sie immer am liebsten gemocht und hatte daher immer extra viel Creme in unsere Tassen getan, damit auch ja genug am Boden blieb. Dann hatten wir uns im Winter immer vor der Schule zusammen auf das Sofa gesetzt und uns gegenseitig die Nougatlöffel geklaut, wobei ich immer genau gewusst hatte, das sie mir den Vortritt gelassen hatte. Wahrscheinlich war das so normal bei Müttern, sie ließen ihren Kindern immer den Vortritt.

 

 Es war schon komisch, wie eine solche Kleinigkeit wie ein Kakao Erinnerungen in einem frei setzte, aber es war das erste Mal, dass nicht Tränen in meinem Gesicht standen, während ich an sie dachte, sondern ein Lächeln. Es tat immer noch weh und ich vermisste sie immer noch unheimlich und auch der Alptraum, der mich so früh geweckt hatte, zeigte, dass ich die Sache immer noch nicht verarbeitet hatte, aber es schien, als ginge es langsam wieder bergauf.

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