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Kapitel 18

 

Erste Annäherung

 

 

 

Nachdem das Gespräch mit Kevin anders ausgegangen war als erwartet, verließ ich mit ihm zusammen den Besprechungsraum und ging wieder nach unten in den Ankunftssaal. Von oben aus betrachtet sah es noch imposanter aus, als wenn man unten direkt vor diesem Ring stand. Ich sah Kevin an, dass er zwar mittlerweile wusste, was es war, dass er es aber noch nicht ganz glauben konnte, so wie ich. Und wie sollten wir auch? Dieses Ding, dieses Stargate, wie sie es nannten. Sollte einen einfach so innerhalb von wenigen Sekunden auf einen anderen Planeten transportieren? Mit genügend Energie sogar in eine andere Galaxis?

 

„Hast du kapiert, wie das funktioniert?“, fragte ich ihn nach einer Weile, die wir zusammen auf das Gate gesehen hatten. Er zuckte nur mit den Schultern und ging dann die Treppe hinunter.

 

„Irgendwas mit einem Wurmloch, mehr habe ich bisher noch nicht verstanden. Aber deswegen wird eines meiner Wahlfächer auch Physik sein. Ich möchte das alles verstehen. Außerdem hat Mom gesagt, dass ich das machen sollte und dann werde ich wohl noch das zusätzliche Kampftraining nehmen, so wie die anderen Jungs auch. Ich möchte ja nicht der Schwächling unter uns sein. Hast du diesen Torren gesehen? Der muss doch schon Ewigkeiten trainieren.“

 

„Dieser eingebildete Gorilla?“, fragte ich ungläubig. Kevin konnte seinen bewundernden Tonfall unmöglich ernst meinen. „Bitte, nimm dir bloß kein Beispiel an dem!“ Ich sah den verwirrten Blick in Kevins Gesicht und ich musste direkt lachen. Es war schön, in ein Gesicht zu blicken und genau zu wissen, was das Gegenüber dachte. Bei Kevin wusste ich es einfach, wusste es, weil wir praktisch zusammen aufgewachsen waren, wusste es, weil ich eigentlich immer wusste, was er dachte.

 

„Denk erst gar nicht dran, Lerner!“, warnte ich ihn, denn der Ort, wo seine Gedanken hin drifteten, war ein Ort, an den ich niemals gehen würde. Er war mal wieder in Absurdistan. Als wir jünger gewesen waren und uns, wie eigentlich jeder andere Mensch, die Frage "was wäre, wenn" gestellt hatten, egal in welchem Zusammenhang, hatte wir immer davon gesprochen, wie es wohl in Absurdistan war, in dem Land, wo alle absurden Ideen beheimatet waren und friedlich leben konnten.

 

„Okay, okay, ist schon gut!“, hob er schützend seine Hände in die Luft und lachte. Dann sah er mich auf einmal geschockt an und schlug die Hände vor dem Mund zusammen. Ich wusste genau, was er dachte. Er hatte gelacht. Er hatte gelacht, obwohl er wahrscheinlich traurig sein sollte, weil sein Vater gestorben war. Ich hatte dieses Gefühl auch schon einige Male gehabt seitdem meine Mutter gestorben war, aber mit ihm hier war alles so viel einfacher. Mit ihm hier schien es, dass ich meine Mutter niemals vergessen würde, einfach weil es noch jemanden gab, der sich so an sie erinnern konnte wie ich sie kannte.

 

„Sie haben mir Mamas alte Sachen gegeben“, sagte ich nach einer Weile, die Kevin nach seinem Lachanfall einfach nur stumm auf das Stargate gesehen hatte.

 

„Aber es war doch gar niemand bei euch im Haus seitdem … du weißt schon.“

 

„Nein, nicht die Sachen. Sachen, die sie hier gehabt hatte“, erklärte ich ihm, als er sich dann doch endlich wieder zu mir umdrehte. Seine Augen sahen mich erstaunt an. Wahrscheinlich war er genauso erstaunt darüber, dass man ihre Sachen behalten hatte, wie ich. Dann sah er mich abschätzend an und ich ahnte, dass das, was er nun sagen würde, ziemlich unangenehm werden würde für mich.

 

„Das war bestimmt dein Vater. Mom meinte, er hat deine Mutter wirklich geliebt. Er hat wohl nie verstanden, warum sie während einer seiner Missionen einfach abgehauen ist“, erklärte er mir und ich seufzte tief, während ich mich von ihm abwandte. Nicht auch noch Kevin …

 

Warum um alles in der Welt schienen alle so erpicht darauf zu sein, meinen Vater bei mir in ein gutes Licht zu stellen, selbst wenn sie ihn selbst noch gar nicht richtig kannten?

 

„Er hätte nach ihr suchen können. Dann hätte er sie sicherlich auch gefunden. Er wollte sie aber anscheinend nicht finden“, gab ich Kevin dann zurück, doch als ich mich dann wieder zu Kevin umdrehte, stand er nicht mehr da, an seiner Stelle stand mein Vater.

 

„Ich habe nach ihr gesucht, monatelang. Ich war selbst auf der Erde, war in Deutschland, aber da, wo sie vorher gelebt hatte, bei ihren Eltern, war sie nicht mehr und sie behaupteten nicht zu wissen, wo ihre Tochter sei“, erklärte er. Er sah mich nicht an, sondern stand einfach nur neben mir am Geländer und blickte auf das Stargate hinunter.

 

„Warum hast du nicht deine Freunde bei der AirForce gefragt?“, hakte ich nach und so sehr ich es auch versuchte, irgendwie konnte ich es nicht patzig fragen. Ich hörte ihn einmal kurz neben mir seufzen, weil er keine Antwort auf meine Frage wusste oder weil er froh war, dass ich überhaupt mit ihm redete, wusste ich nicht.

 

„Glaub mir, das habe ich. Aber sie haben mir nichts gesagt. Rodney hat mir sogar geholfen, mich in den PC des SGC einzuhacken, aber alles war gelöscht. Es war so, als hätte sie nie wirklich existiert.“ Er hielt einen Moment inne und ich war mir nicht sicher, aber ich hatte das Gefühl, seine Stimme war etwas belegt. „Ich denke, sie wollte nicht, dass ich sie finde, deswegen habe ich es nach einem Jahr aufgegeben“, sagte er dann nach einer kleinen Weile.

 

„Vielleicht hatte sie Angst“, antwortete ich vorsichtig und wusste selbst nicht, warum diese Worte aus meinem Mund gekommen waren, eigentlich hatte ich nicht mit ihm reden wollen. „Vielleicht hatte sie Angst, dass du in Gefahr geraten könntest, oder vielleicht dachte sie, dass man uns zusammen mit dir besser finden könnte“, sprudelte es einfach so aus mir heraus. Der Teil in mir, der meinen Vater hassen wollte, rebellierte förmlich in mir, aber es ging nicht anders.

 

„Das hatte ich auch schon überlegt“, gab er nach einem Moment des Staunens zu. Ich hatte genau gemerkt, wie er sich nach meiner Aussage zu mir gedreht hatte und mich verwundert anstarrte. Wahrscheinlich konnte auch er den plötzlichen Sinneswandel seiner ihm unbekannten Tochter nicht verstehen. „Hör zu, hätte ich die Möglichkeit gehabt, euch zu finden, zu sehen, dass ich eine Tochter habe, ich wäre nicht hier auf Atlantis geblieben, oder ich hätte euch wieder mit hierher genommen“, sagte er und griff vorsichtig nach meinen Schultern. Anscheinend hatte er die Hoffnung, dass ich diesmal nicht ausrasten würde.

 

Langsam drehte ich mich um und er beugte sich etwas herunter, um mit mir auf einer Augenhöhe zu sein. „Glaub mir, ich hätte sie nicht im Stich gelassen, hätte ich gewusst, dass es dich gibt“, sagte er dann und unweigerlich merkte ich, wie plötzlich Tränen in mir aufstiegen. Ich wollte eigentlich gar nicht, dass sie kamen, aber der Gedanke an meine Kindheit ohne Vater, der Gedanke, dass ich nun nur noch ihn hatte und meine Mutter nicht mehr da war, all das schienen meine Tränendrüsen nicht mehr auszuhalten.

 

Schneller als ich es dachte, kullerten die ersten Tränen heraus und als mein Vater das sah, hing ich schneller in seiner Umarmung, als es mir lieb war. Aber komischerweise tat es gut. Es war vollkommen anders, als von meiner Mutter umarmt zu werden. Es war so anders, dass ich einen Moment brauchte, um zu verstehen, was hier gerade passierte. Als er jedoch dann seine Hand auf meinen Kopf legte und über meine Haare strich, löste ich mich von ihm.

 

„Eine Regel!“, keuchte ich erschrocken. Und ich sah in den Augen meines Vaters, dass er Angst hatte, zu weit gegangen zu sein. „Niemand geht an meine Haare!“, sagte ich und sah ihn mit verschränkten Armen an. Wenn wir schon dabei waren, unser Verhältnis zueinander zu verbessern, dann sollte er das besser schnell lernen. „Versprochen, Maggie.“ Er lachte kurz und zog mich dann wieder in seine Arme, darauf bedacht meine Haare nicht willentlich mit seinen Händen zu berühren.

 

Anscheinend hatte mein Wiedersehen mit Kevin einiges verändert und ich wusste noch nicht, ob es zum Guten oder zum Schlechten war, dass ich nun einen Schritt auf meinen Vater zugegangen war. Ich hoffte, dass meine Mutter nicht genau das hatte verhindern wollen, aber andererseits, wenn das der Fall war, warum hatte ihre Nachricht, diese kleine Notiz, die sie in ihrem Schließfach hinterlassen hatte, mich dann hierher gebracht? Und auf einmal, begriff ich, was sie gewollt hatte. Sie hatte gewollt, dass ich endlich meinen Vater kennen lernte, ihre Geschichte erfuhr. Sie hatte gewollt, dass ich in Sicherheit war und wahrscheinlich wusste sie, dass ich jetzt, wo sie mich nicht mehr beschützen konnte, nirgendwo sicherer war als bei meinem Vater.

 

„John … warum haben sie uns verfolgt? Warum hatte Mama Angst?“, fragte ich ihn dann unsicher, als ich mich wieder von ihm gelöst hatte. Wenn ich ihm gegenüber schon offener wurde, dann konnte ich ihm auch gleich die Fragen stellen, die sich seit einiger Zeit in meinem Kopf festgebissen hatten. Doch bevor er mir antworten konnte, ertönte auch schon die Stimme von Dr. McKay in meinem Ohr. Ich sollte noch einmal zu ihr auf die Krankenstation kommen. Als ich meinem Vater davon berichtete, bestand er förmlich darauf, mich zu begleiten und versprach mir, dass meine Frage auf der Krankenstation sicherlich beantwortet werden würde.

 

„Aber woher weißt du eigentlich, dass ihr verfolgt wurdet?“, wunderte er sich, während wir schnurstracks Richtung Krankenstation gingen. Ich antwortete ihm erst nicht. Ich wusste nicht, ob ich verraten konnte, dass ich das Gespräch zwischen O’Neill und Peter auf der Daedalus belauscht hatte. Vielleicht würde ich große Probleme bekommen, wenn ich es zugab.

 

„Na ja, irgendeinen Grund muss es ja geben, warum Mama solche Angst hatte“, log ich also, aber da ich nicht gerade eine gute Lügnerin war, befürchtete ich, dass er mir nicht glauben würde. Zumindest hätte Mama mir meine Lüge nicht abgekauft, aber er kannte mich weitaus schlechter als sie und wahrscheinlich würde er die Lüge in meinem Gesicht nicht erkennen können.

 

„Du hast eben in unserer Besprechung gut zugehört?“, erkundigte er sich, als er vor der Krankenstation stehen blieb. Wir waren viel schneller dort, als ich erwartet hatte, aber das lag ohne Frage daran, dass er sich hier allemal besser auskannte als ich und wir wahrscheinlich eine Art Abkürzung genommen hatten. Ich blieb ebenfalls stehen und nickte ihm kurz zu. „Okay, hör zu. Du wirst da drin jetzt wahrscheinlich einiges gefragt werden und du wirst bestimmt auch Antworten bekommen, aber bitte, bleib ruhig okay? Ich weiß, es wird schwer werden, aber bitte, du musst ruhig bleiben“, sagte er und es schien mir beinahe so, als könnte sonst etwas passieren. Dann kam ihm plötzlich ein etwas kleinerer Mann entgegen, auf seiner Schulter sah ich die schottische Flagge und er murmelte in einem unverkennbaren Akzent etwas davon, dass er nicht der richtige für diese Aufgabe wäre, dass er "diese Dinger", was auch immer er damit meinte, wahrscheinlich eher noch anstacheln würde als sie aufzuhalten.

 

„Keine Angst Carson, es wird nicht dazu kommen“, sagte mein Vater kurz und schlug dem Mann auf den Rücken. Der Schotte verdrehte nur die Augen, sah mich etwas besorgt an und ging dann weiter nach unten.

 

 

 

 

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