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Kapitel 15

 

Ungewöhnlichkeiten

 

 

 

„Nos nituntur ad pace et ibimus in pace. Lorem eris semper nobiscum“, las ich mir selbst vor, als ich wieder vor den Treppen stand, vor denen ich gestern angekommen war. Es war das, was auf der ersten Stufe stand. Diese Sprache war wirklich wie Latein und irgendwie wunderte es mich noch mehr, dass ich zu verstehen schien, was diese Antiker damit hatten sagen wollen. Ich nahm die nächste Treppe, während ich mir auch deren Inschrift genau betrachtete.

 

„Sit hoc repromissio, ut populus hoc saeculo et omnis sciamus.“ Ich begann wirklich an meinem Verstand zu zweifeln. Nicht nur, weil ich etwas lesen konnte, was anscheinend niemand anders lesen konnte, sondern auch, weil ich mich wirklich fragte, warum ich im Lateinunterricht immer so schlecht gewesen war. Ich erinnerte mich an die verschiedenen Arbeiten, in denen ich in der Übersetzung total versagt hatte und in denen ich mit Sachen wie Hexameter, Hyperbaton und Jambus konfrontiert worden war.

 

Als ich am oberen Ende der Treppe angelangt war und jede einzelne Zeile hatte lesen können, auch wenn sie etwas verdreht zu sein schienen, sah ich mich kurz um. Niemand war hier und hatte meinen seltsamen Monolog mitbekommen und ich war dankbar dafür. Wahrscheinlich würden mich selbst die Leute hier für verrückt halten.

 

McKay an Lindbruch, ertönte auf einmal eine weibliche Stimme in meinem Ohr. Ich seufzte einen Moment und fragte mich, warum ich nicht einfach die Regel ignoriert und dieses komische Kommunikationsding in meinem Quartier gelassen hatte. Ich hatte noch 2 Stunden bis die Besprechung, zu der ich erwartet wurde, beginnen würde und doch ließ man mich anscheinend nicht alleine.

 

„Ja?“, antwortete ich und fühlte mich wieder etwas seltsam dabei. Ich hatte zwar meine Hand an dem Kommunikator an meinem Ohr, aber ich hatte dennoch das Gefühl, mit mir selbst zu sprechen. Wahrscheinlich wurde man hier deswegen nicht für verrückt gehalten, wenn man mal mit sich selbst sprach. Es bestand ja immer die Möglichkeit, dass man gerade mit jemandem über den Kommunikator redete.

 

Es wäre gut, wenn Sie vor der Besprechung vielleicht noch einmal zu mir in die Krankenstation kommen würden, eine reine Routineuntersuchung, sagte die Frauenstimme und sie hörte sich überraschend sympathisch an.

 

Die Tatsache, dass sie von einer Routineuntersuchung gesprochen hatte, schreckte mich allerdings für einen Moment ab. Meistens hatten diese Untersuchungen auch etwas mit Spritzen zu tun und meine Abneigung dagegen hatte sich nicht geändert. Andererseits wollte sie vielleicht einfach nur feststellen, wie gut die Brandwunden an meinem Rücken verheilt waren. Erst heute Morgen hatte ich meinen Rücken im Spiegel betrachtet. Obwohl ich keine Schmerzen mehr hatte, war immer noch ein dicker Mullverband darüber und verdeckte alles. Ich war mir sicher, dass ich wohl für den Rest meines Lebens mit den Narben auf meinem Rücken würde leben müssen.

 

Ich hatte ziemliches Glück, dass ich nicht eines von den Mädchen war, die zu sehr auf ihr Äußeres bedacht waren. Ich wusste, ich war nicht die hässlichste, aber der Gedanke an eine Narbe brachte mich nicht sonderlich um. Es hätte schlimmer sein können, und es gab Leute, die weitaus schlechter dran waren als ich.

 

„Ich bin so schnell wie möglich da“, antwortete ich in dem Wissen, dass es gut sein konnte, dass ich mich wieder verlaufen würde. Immerhin war ich noch nie auf der Krankenstation hier gewesen und wahrscheinlich war sie nicht auf dieser Ebene. Aber ich wollte auch nicht warten, bis jemand vorbeikam, der mich dort hinbringen würde. Ich schnappte mir also mein Tablet, das ich in meine Umhängetasche gesteckt hatte und schaltete es an. Daniel hatte gesagt, dort würde ich eine Karte der Stadt finden. Sicherlich gab es da auch eine Art Suchfunktion. Doch ich musste gar nicht großartig suchen, denn sobald das Tablet hochgefahren war, erschien auch schon die Karte mit der markierten Krankenstation. Wahrscheinlich gab es irgendeine Möglichkeit, dieses Tablet vom Hauptcomputer der Stadt aus zu steuern und die Ärztin hatte dafür gesorgt, dass ich die Krankenstation auch wirklich finden würde.

 

Ich wollte gar nicht wissen, was man noch alles fremdsteuern konnte, wahrscheinlich hätte ich sonst Paranoia bekommen. Schon alleine die Vorstellung, dass jemand in irgendeiner Weise noch mehr in meine Privatsphäre eindringen könnte, als mir sowieso schon bewusst war, reichte mir vollkommen.

 

Dank der Karte war es nun relativ leicht, mich hier in dieser großen, fremden Stadt zurechtzufinden. Hier sah jedes Stockwerk dem anderen so ähnlich, dass ich mich wahrscheinlich ohne diese Karte, auf der ich immer als ein kleiner, sich bewegender Punkt zu sehen war, wieder verlaufen hätte. Und außerdem merkte ich, dass es mit diesem kleinen Wundergerät möglich war, meinem Vater und seinen Freunden aus dem Weg zu gehen. Denn wann immer sie sich auf der Ebene befanden, auf der ich gerade war, erschienen ihre Namen in einem kleinen Kästchen am Rand und ich musste einfach nur ihren sich bewegenden Punkten aus dem Weg gehen.

 

Es erinnerte mich in gewisser Weise an eine Buchreihe, die mir meine Mutter einmal vorgelesen hatte: Harry Potter. Dort hatte es auch eine Art Karte gegeben, auf der man sehen konnte, wo sich jeder einzelne in der Zauberschule herumtrieb. Natürlich hatte sie mir nicht alle Bücher vorgelesen, ab dem 3. Buch war ich alt genug gewesen, um selbst zu lesen und seitdem liebte ich diese Bücher abgöttisch. Jetzt, wo ich daran dachte, merkte ich, dass ich vielleicht nie wieder die Möglichkeit haben würde, sie zu lesen, immerhin waren meine Bücher alle noch auf der Erde und dorthin würde ich vielleicht nie wieder zurückkehren.

 

Während mich diese trüben Gedanken wieder näher an das Loch zogen, in das ich bisher noch nicht gefallen war, näherte ich mich stetig, immer wieder einigen leuchtenden Punkten ausweichend, der Krankenstation. Es war beinahe so, als würden die Freunde meines Vaters sich hier versammeln und zu versuchen, mich abzufangen. Als ich dann um die Ecke in die Krankenstation einbog, sah ich einen Freund meines Vater, den großen Mann mit den Dreadlocks, auf einem der Krankenbetten sitzen. Auf seiner Stirn prangte eine große Platzwunde und Teyla stand neben ihm und entschuldigte sich immer wieder bei ihm.

 

„Ich hätte wirklich nicht auf diesen Kampf eingehen sollen. Ich wusste ja, dass du abgelenkt bist“, bemerkte sie immer wieder und der Mann grummelte nur etwas Unverständliches in seinen Bart. Er sah ziemlich schlecht gelaunt aus, aber er zuckte nicht ein einziges Mal, als eine blonde Ärztin ihm die Wunde zunähte.

 

„Ich komme gleich, Magret, setz dich schon einmal hin“, sagte sie dann und blickte kurz mit einem leichten Lächeln zu mir rüber. Wahrscheinlich war das die Ärztin, die mich eben kontaktiert hatte. Ich beobachtete sie, während ich mich auf das nächste Bett schwang. Sie schien sehr vorsichtig zu sein und genau zu wissen, was sie tat. Das musste Joey und Simons Mutter sein. Zumindest sah Joey ihr sehr ähnlich. Sie schien im Vergleich zu meinem Vater und seinen Freunden noch relativ jung zu sein, wahrscheinlich nicht viel älter als 40.

 

„Ich finde, du solltest die beiden besuchen“, hörte ich sie leise sagen, während sie den Mann weiterhin verarztete. Ich ahnte, über wen sie redeten. Erst gestern hatte Philipp mir von den Replikatoren erzählt und davon, dass dieser Mann unwissentlich mit einer Replikatorin, wenn man sie so nennen konnte, ein Kind gezeugt hatte. Die beiden standen nun unter strenger Bewachung und er hatte seine Tochter und seine Frau seitdem nicht besucht. „Immerhin ist es ihr erster Geburtstag.“

 

Doch Ronon, mittlerweile war mir auch sein Name wieder eingefallen, schien hart zu bleiben. Er verzog keine Miene bei dem Vorschlag der Ärztin. Ich spürte Mitleid für die Frau und ihre Tochter. Natürlich, wenn sie wirklich so gefährlich waren, wie Philipp es gesagt hatte, dann war es verständlich, dass man sie streng überwachen ließ, aber Ronon war der Vater der Kleinen, er hatte eine Verantwortung. Und wenn sie wirklich diese komischen Wesen waren, warum hatten sie Atlantis dann nicht schon längst zerstört?

 

„Es ist zwecklos, Jen, er wird nicht auf dich hören, er hört auf niemanden“, sagte Teyla und ihre Stimme klang ziemlich resigniert. Ich fragte mich, ob die beiden Frauen die Sache ähnlich sahen wie ich und auch sie der Meinung waren, dass Ronon sich um seine Tochter kümmern sollte. Wahrscheinlich konnten sie sich besser in alles hineinversetzten, denn sie waren selbst Mütter und ich konnte es, weil ich selbst ein Kind war, das ohne Vater aufgewachsen war.

 

Sobald die Ärztin dann den Faden, mit dem sie Ronon genäht hatte, abschnitt, sprang er auch schon vom Bett auf und stürmte regelrecht aus der Krankenstation. Teyla blieb noch einen Moment da, sah ihm nach und wechselte kurz mit der Ärztin vielsagende Blicke. „Bis später Maggie!“, rief sie mir noch zu und verschwand dann ebenfalls.

 

Irgendwie hatte ich mir gewünscht, sie würde bleiben, ich wusste wirklich nicht, was man nun mit mir vorhatte und da hätte ein vertrautes Gesicht, egal wie kurz ich es erst kannte, sicherlich geholfen. Ich sah der Ärztin noch zu, wie sie das Material, das sie bei Ronon benutzt hatte, entweder entsorgte oder in eine Plastikbox warf und dann kam sie auch schon zu mir.

 

„Hallo Maggie, ich darf dich doch Maggie nennen, oder?“, fragte sie in einem unglaublichen Tempo. Ich sah sie erstaunt an und alles, was ich machen konnte, war zu nicken. „Okay. Maggie, ich habe gehört, du hast bei dem Kampf um die Erde einige Verletzungen davongetragen. Darf ich mir die mal genauer ansehen?“ Die Frage war eher unnötig. Wahrscheinlich hätte ich ihr die Brandwunde an meinem Rücken lieber nicht gezeigt, aber was blieb mir schon anderes übrig. Also zog ich vorsichtig mein T-Shirt aus und legte es neben mich. Erst jetzt merkte ich, dass es doch etwas kühl war auf der Krankenstation, aber daran ließ sich wohl im Moment nichts ändern.

 

Doch zu meiner Verwunderung hörte es sich auf einmal so an, als ob die Ventilatoren der Belüftungsanlage, die es hier sicherlich gab, anfingen, härter zu arbeiten und es wurde tatsächlich wärmer. Auch die Ärztin, die sich bei mir nur als Jennifer vorgestellt hatte, schien es bemerkt zu haben und sah verwundert nach oben. Dann sah sie einen Moment mich an, als sei ich dafür verantwortlich, schüttelte dann jedoch ihren Kopf, als schüttelte sie einen Gedanken ab.

 

Dann zog sie vorsichtig den Verband von meinem Rücken und ich merkte, wie empfindlich die Stellen doch immer noch waren. An manchen von ihnen zuckte ich beinahe zusammen, weil ich das Gefühl hatte, sie würde meine Haut abreißen, aber ich würde ihr wohl vertrauen müssen.

 

„Es ist gut verheilt, aber ich fürchte, mit den Narben wirst du leben müssen, genauso wie mit der Überempfindlichkeit an diesen Stellen, das wird vermutlich nie wieder richtig verschwinden“, erklärte sie und ich nickte stumm. Das hatte ich ja bereits erwartet, daher war es kein allzu großer Schock für mich.

 

„Ich werde jetzt noch einen kompletten Körperscan machen“, sagte sie und mein Kopf schnellte zu ihr herum. Ein Körperscan? Was war das bitte und was wollte sie damit bezwecken? „Keine Angst Maggie, es tut nicht weh“, sagte sie und ihre Stimmte klang sogar etwas amüsiert. Wahrscheinlich war das ein Teil der Routineuntersuchung und sie hatte eine solche Reaktion schon öfters miterlebt.

 

Dann bat sie mich, mich einfach flach auf die Liege zu legen und holte ein komisches Gerät zu sich. Es ähnelte einem fahrbaren langen Neonlicht, an dem ein Monitor angeschlossen war. Dann befestigte sie auch noch einige Elektroden an meinen Körper, wie bei einem EKG, doch nicht nur da, sondern auch an meinen Kopf. Ich war wirklich nicht sicher, ob mir gefiel, was sie da machte und ich war glücklich, als das Gerät nicht anspringen wollte, auch wenn sie das nicht zu verstehen schien.

 

Sie versuchte immer wieder, es zu starten, aber es wollte ihr nicht gelingen. Ich musste leicht lächeln, als sie fluchend gegen den Fuß des Gerätes trat und es verdammte. Das hatte meine Mutter auch immer getan, wenn sie sich geärgert hatte.

 

„Maggie, du brauchst dir wirklich keine Gedanken zu machen, wir waren alle schon einmal darunter. Ich auch, es tut wirklich nicht weh und es ist auch sonst nicht gefährlich“, sagte sie und sah mich eindringlich an, als könnte ich dieses Ding wieder zum Laufen bringen. Als es immer noch nicht klappte, seufzte sie und wollte anscheinend schon ihren Mann kontaktieren, damit er das Gerät wieder reparierte. Darauf hatte ich wirklich keine Lust. Ich hatte diesen Mann zwar noch nicht richtig kennengelernt, aber ich war mir auch nicht sicher, ob ich das überhaupt wollte.

 

Und plötzlich, noch bevor Dr. McKay ihren Mann hatte erreichen können, begann das Gerät zu brummen und die Lichter gingen an. Ich muss zugeben, ich hatte mir mehr Sorgen deswegen gemacht als nötig, so schlimm war es gar nicht gewesen.

 

„Dr. McKay, die Hammond ist gerade angekommen. Dr. Fraiser möchte mit ihnen sprechen.“

 

„Ich denke, wir sind für heute mit dir fertig. Aber du solltest vielleicht morgen noch mal vorbeikommen, wenn ich alles ausgewertet habe“, sagte sie und ich merkte, dass sie mich hier raus haben wollte. Warum genau, konnte ich nicht sagen, aber irgendetwas sagte mir, dass es mit der Nachricht zu tun hatte, dass dieser Dr. Fraiser angekommen war. „Kein Sorge, ich vermute nichts Schlimmes. Wir sehen uns nachher“, sagte sie dann und schob mich förmlich aus der Krankenstation.

 

 

 

 

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