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Kapitel 1

 

She's leaving home

 

 

 

 

Ein kalter Wind peitschte durch das, wie für diese Jahreszeit üblich, hoch gewachsene Feld. Ein lautes Pfeifen hallte durch die Nacht, die, nun da die Sterne und der Mond vollkommen von Wolken bedeckt waren, so dunkel war, dass man beinahe die eigene Hand vor Augen nicht mehr sehen konnte.

Durch den Wind, der die langen Halme des bald erntereifen Getreides immer wieder in Bewegung hielt, fiel die kleine Gestalt kaum auf, die sich, ihren dunklen Mantel fest um sich geschlossen, unsicher ihren Weg durch das Feld bahnte. Unter anderen Umständen hätte sie sich sicherlich nicht unbemerkt durch das Feld stehlen können, doch so war es der schnellste und unerwartetste Weg hinaus aus Hobbingen.

Noch immer - War es der Wind oder ihr Kopf, der ihr einen Streich spielen wollte? Sie konnte es nicht genau sagen. - hörte sie die Stimme ihrer Mutter deutlich, als wäre sie gerade erst mit ihrem Rucksack durch die Tür von Beutelsend gegangen: „Elly! Warte! Lass mich doch erklären!“

Diese Möglichkeit hatte sie ihrer Mutter jedoch verwehrt. Sie hatte ihre Mutter nicht einmal zu Ende erzählen lassen. In ihren Augen hatte sie es nicht verdient, sich zu erklären, hatte es nicht verdient, dass sie, Eleodora, noch einen Moment länger zuhörte. Sobald ihre Mutter ihr eröffnet hatte, dass sie tatsächlich nicht die Tochter eines Edelhobbits war, sondern von jemandem, den ihre Mutter durch ihre Reise kennengelernt hatte, war sie aufgestanden und hatte in ihrem Zimmer die Tasche gepackt, die sie immer benutzte, wenn sie zu ihren Verwandten ins Bockland reiste. Die braune Ledertasche mit der aufwendigen Verzierung hatte schon ihrer Mutter gehört und hatte es sicher durch ihr Abenteuer geschafft. Also würde sie es auch auf ihrem Weg tun, wo auch immer er sie hinführen sollte.

Um ehrlich zu sein wusste sie noch nicht einmal genau, wohin sie nun gehen sollte. Sie war ohne darüber nachzudenken aus der Haustüre gestürmt und einfach drauflos gelaufen. Dass sie nun durch das Feld von Bauer Maggot lief war sicherlich nichts, das sie geplant hatte. Erst vor einer Woche hatte sie selbst Frodo bei dem grimmigen Bauern abgeholt, weil dessen Hunde ihn einen Baum hinauf gejagt hatten. Anscheinend hatten er und seine Freunde etwas von den Feldern stibitzen wollen und hatten dabei die Hunde übersehen.

Sie hatte Frodo einen Narren gescholten und ihm gedroht, sie würde ihn selbst auf einen Baum jagen und bis zum nächsten Tag nicht mehr herunter lassen, falls er eine solche Dummheit noch einmal beging. Und nun war sie es selbst, die sich durch ein Feld des Bauern kämpfte. Glücklicherweise liebte der Bauer seine Hunde und hätte wahrscheinlich nicht im Traum daran gedacht, sie bei diesem Wetter draußen zu lassen.

Und als wären die harten, papierartigen Halme, die durch ihr Gesicht peitschten, noch nicht genug gewesen, fingen plötzlich auch noch Blitze an über den Sommerhimmel zu zucken. Angespannt versuchte sie zu lauschen, wann zwischen dem Heulen des Windes der Donner zu hören war, aber zu ihrem großen Glück schien das Gewitter noch so weit entfernt zu sein, dass sie den Donner noch nicht einmal hören konnte. Wahrscheinlich würde es noch bis Sonnenaufgang brauchen, bis das Gewitter bei ihr angekommen war, zumindest wenn sie nicht mehr viel weiter ging. Die Wut auf ihre Mutter trieb sie jedoch weiter voran.

Schon oft hatte ihr leicht entflammbares Gemüt ihr einige Schwierigkeiten eingebracht und unüberlegte Entscheidungen waren getroffen worden. Doch das wollte sich Eleodora Beutlin heute Nacht sicherlich nicht eingestehen. Vielleicht sah die Welt am nächsten Morgen, wenn die Sonne sich durch die Wolken gekämpft hatte, schon wieder ganz anders aus. Ihr Gemüt würde sich beruhigt haben, und sie würde schneller wieder vor der Tür von Beutelsend stehen, als selbst ihre Mutter erwartet hatte. Aber heute Nacht war daran nicht zu denken, heute Nacht ging sie weiter, ohne zu rasten.

Eigentlich hatte sie von sich selbst gedacht, gut mit der Tatsache zurecht zu kommen, dass ihr Vater in der Tat kein Edelhobbit war. Immerhin hatte ein Teil von ihr das immer vermutet. Es dann aber tatsächlich ausgesprochen zu hören und das von ihrer eigenen Mutter, das war etwas ganz anderes. Ihre Mutter hatte sie ihr ganzes Leben lang belogen. Ihr ganzes Leben lang hatte die junge Hobbitdame von ihrer Mutter nur gehört, wie sie vor einigen Jahren einen Edelhobbit kennengelernt hatte und dass er Eleodoras Vater war. Und jetzt, jetzt musste sie erfahren, dass das nicht der Fall war? Schlimmer noch, ihre Mutter wollte ihr noch nicht einmal sagen, wer denn nun ihr Vater war, sondern hatte erst ihre Geschichte noch einmal erzählen wollen. Woher in Yavannas Namen sollte Eleodora wissen, ob diese Geschichte stimmte?

Wenn die Geschichte über ihren Vater gelogen war, warum dann nicht aus diese? Woher sollte sie die Zuversicht nehmen, dass sie ihrer Mutter diese Geschichte glauben sollte? Diese beiden Geschichten hatten sie ihr ganzes Leben bis zu diesem Zeitpunkt begleitet und jetzt war es möglich, dass alles nur eine große Lüge war, die ihre Mutter sich hatte einfallen lassen.

Als sie aus dem Schutz der Bäume kam und der Wind ihr nur noch schamloser ins Gesicht peitschte, merkte sie, dass die Wolken den Regen des Gewitters mittlerweile bis zu ihr gebracht hatten. Und auch das Donnergrollen war nun sehr deutlich zu vernehmen. Sicherlich war es nicht klug bei diesem Wetter noch viel weiter zu laufen, und da in der näheren Umgebung bis auf die Farm von Maggot nichts war, das sie vor dem Gewitter hätte schützen können, entschied sie sich widerwillig doch dort Halt zu machen, zumindest bis das Gewitter vorüber war.

Da sie aber nicht entdeckt werden wollte, und schon gar nicht von Bauer Maggot, der sie sicherlich direkt zurück zu ihrer Mutter geschickt hätte, versteckte sie sich in seiner Scheune direkt neben dem Haupthaus. Es war normalerweise eher nicht die Art Bett, die Eleodora bevorzugte, aber im Stroh zu schlafen war immer noch besser als bei diesem Wetter, das sich mit jeder Minute verschlimmerte, draußen zu sein, vor allem so nahe am Alten Wald.

Dieser Wald war schon ungeheuerlich genug, wenn man bei Tageslicht und mit einer Gruppe von Hobbits hindurchlief. Bei Nacht, während einem Gewitter und alleine hindurchzulaufen, war wirklich mehr als man von irgendeinem Hobbit, selbst von einem Tuk, erwarten konnte. Wahrscheinlich hätten sich nicht einmal die Zwerge ihrer Mutter durch diesen Wald getraut, und sie hatten einen Drachen gesehen.

Der Gedanke an ihre Mutter und die Geschichten, die sie ihr erzählt hatte, schmerzten die gerade von zu Hause ausgerissene Hobbitdame. Es war einfach unvorstellbar für sie, dass ihre Mutter sie tatsächlich angelogen hatte, dass es Thorin, Bofur, Kíli, Fíli und die anderen Zwerge vielleicht gar nicht gab. Vielleicht hatte sie sich das alles nur ausgedacht, um ihrer Tochter eine tolle Gutenachtgeschichte zu erzählen, und es hatte sich mit der Zeit zu etwas entwickelt, aus dem Billa Beutlin nicht mehr herausgekommen war. Aber was auch immer die Wahrheit war, Eleodora wusste nur eines, sie würde nicht einfach aufgeben. Selbst wenn sie tatsächlich morgen wieder den Weg zurück nach Beutelsend einschlagen würde, und was anderes sollte sie denn tun, würde sie ihre Mutter nicht in Ruhe lassen, bis sie endlich wusste, wer nun ihr Vater war.

Am nächsten Morgen brauchte sie einen Moment, um sich zu orientieren. Sie wunderte sich, dass sich der Untergrund, auf dem sie lag, so gar nicht nach ihrem gemütlichen Bett anfühlte und dass es hier für diese Uhrzeit ungewöhnlich nach Tieren roch. Als sie dann endlich ihre Augen aufriss war sie einen Moment geschockt und hätte beinahe laut aufgeschrieen, bis ihr einfiel, dass sie selbst sich hier vor dem Gewitter in Sicherheit gebracht hatte.

Das Gewitter war mittlerweile weitergezogen und durch das große runde Fenster weit oben in der Scheune und durch die Schnitte in der Scheunentür war zu sehen, dass sich anscheinend auch die Wolken verzogen hatten, denn wo sie konnten, drangen die Strahlen der Sonne hinein und schienen förmlich alles, was in der Nacht abgekühlt und feucht geworden war, inklusive Eleodoras Kleidung, zu wärmen und zu trocknen.
Was sie jedoch verwunderte, und sie war sich ziemlich sicher, dass er in der Nacht noch nicht dort gestanden hatte, war der üppig bestückte Korb mit frischem Brot, Käse und Früchten, der auf einem kleinen Schemel neben einer vollen, noch etwas dampfenden Wasserschüssel lag. Auch ein neues Paar Kleider, ein knielanger, olivgrüner Glockenrock aus leichtem Leinenstoff, eine weiße Bluse und eine goldgelbe Weste aus geblümten Brokatstoff lag neben dem Schemel.

Erschrocken sprang sie auf, ihr Herz raste. Wenn Bauer Maggot wusste, dass sie hier war, dann wusste es sicherlich auch ihre Mutter und sie würde bald hier ankommen. So verführerisch das Frühstück also aussah und so gerne wie sie aus ihren immer noch klammen Kleidern gestiegen wäre und sich frische angezogen hätte, sie konnte nicht hier bleiben, sie durfte nicht gesehen werden, wie sie aus der Scheune schlich.

So leise Hobbits sein konnten schlich sie zur Scheunentür, um diese zu öffnen. Doch auch sie konnte nichts gegen das Knarren tun, das jedem im Umkreis von mindestens 100 Metern hatte hören müssen.

„Ihr wollt meinen Hof schon wieder verlassen?“, fragte eine amüsierte Stimme direkt hinter der Tür. Natürlich hatte der Bauer draußen darauf gewartet, dass sie aufstand, natürlich konnte sie nicht einfach verschwinden. Langsam und ihre leicht entglittenen Gesichtszüge kontrollierend drehte Eleodora sich zu dem älteren Mann um. Er saß ebenfalls auf einem Schemel und kümmerte sich gerade um eine seiner Kühe, deren Euter prall mit frischer Milch gefüllt waren. Der Eimer auf dem Boden dampfte noch etwas und sie musste unweigerlich an den Korb in der Scheune denken, gefüllt mit einem guten Frühstück.

„Wann wird meine Mutter hier sein?“, fragte die junge Hobbitdame zögerlich und versuchte ihre höfliche Beutlin-Seite an ihr in den Vordergrund zu bringen. So sehr sie sich auch äußerlich von den Hobbits unterschied, sie war dennoch als ein Hobbit erzogen worden, und das bedeutete, dass sie ein hohes Maß an Höflichkeit und Anstand hatte. Und das sagte ihr, dass sie das gute Frühstück nicht ablehnen konnte, nicht jetzt, da der Bauer sie gesehen hatte. Dies würde ihrer Mutter, die sicherlich schon auf dem Weg hierher war, zwar die Möglichkeit geben, sie einzuholen und wieder mit nach Hause zu nehmen, aber es gehörte sich nun einmal so. Und so sauer Eleodora auch noch auf ihre Mutter war, hätte sie nun vor ihr gestanden und sich bei ihr entschuldigt, wäre sie vermutlich wieder mit ihr nach Beutelsend zurückgekehrt, wütend oder nicht. So eine Nacht auf pikenden Strohhalmen zu schlafen konnte einen die Dinge doch irgendwie anders sehen lassen.

„Eure Mutter? Wollte sie auch kommen?“ Die Falten auf der Stirn des alten Bauern vertieften sich einen Moment in heller Verwunderung.

„Ich dachte, Ihr hättet nach ihr schicken lassen, so wie Ihr es auch immer tut, wenn Ihr Frodo auf Eurem Hof aufgelesen habt“, bemerkte Eleodora und entspannte sich etwas. Es sah wirklich nicht danach aus, als hätte Maggot ihrer Mutter rufen lassen. Wahrscheinlich hatte er sie schon am frühen Morgen entdeckt, als er seine Tiere auf die Weide gebracht hatte. Und wenn sie so in den Himmel blickte und den Stand der Sonne betrachtete, wäre ihre Mutter schon längst hier gewesen, hätte sie wirklich eine Nachricht erhalten.

„Meine liebe Eleodora, Ihr seit erwachsen. Ich werde kaum eine Hobbitdame entehren, indem ich ihre Mutter rufe, die, auch wenn sie schon über 100 Jahre alt ist, kein Jahr älter aussieht als 50.“ Eleodora sah den älteren Hobbit dankbar, aber verwirrt an. Hatte der alte Mann vergessen, wie alt sie war? Sie war noch nicht erwachsen, das würde sie erst in einem halben Jahr sein.

„Ich bin noch nicht erwachsen“, sagte sie und er hörte auf einmal auf seine Kuh zu melken, gab ihr einen kleinen Klaps auf den Hintern, damit sie zurück zu ihrer Herde lief, und stand dann auf. Der Bauer mit den lockigen grauen Haaren war einige Zentimeter kleiner als Eleodora, was aber auch nicht weiter verwunderlich war, immerhin war sie größer als die meisten Hobbits. Diejenigen in ihrer Familie, die an die Geschichte mit dem Edelhobbit als ihren Vater glaubten, begründeten dies immer damit, dass sie immerhin eine Nachfahrin von Bandobras „Bullenrassler“ Tuk war, der stolze 1,35 Meter gewachsen war.

„Ich mag alt sein, aber ich kann rechnen, meine Liebe. Ihr seid mindestens so alt wie meine Rose, auch wenn Ihr nicht so ausseht“, sagte er und sah Eleodora so abschätzend an, dass sie wirklich verwirrt war. Wie kam dieser alte Mann auf die Idee, sie wäre genauso alt wie seine Tochter? Rose Maggot, mittlerweile schon seit einigen Jahren eine Stolzfuß, war bereits über 50 Jahre alt und hatte einige Kinder, deren Mäuler gestopft werden mussten. „Ich erinnere mich noch genau, wie Eure Mutter vor 53 Jahren verschwunden war. Noch einen Tag zuvor hatte sie uns besucht, weil meine Frau, Yavanna habe sie selig, unsere kleine Rose geboren hatte und Eure Mutter ihr bei der Geburt geholfen hatte“, berichtete der alte Hobbit und Eleodora fragte sich, warum er diese Geschichte nun erzählte. Doch ihre gute Erziehung hielt sie davon ab, ihm ins Wort zu fallen und einfach zu gehen. Ältere Hobbits, genauso wie ihre Mutter, sprachen gerne von alten Zeiten und oft verwechselten sie auch Jahre. Wahrscheinlich war das hier nun der Fall.

„Wie Ihr wisst habe ich einige Kunden in Bree und sie erzählten mir von Gerüchten, dass Eure werte Mutter in Bruchtal bei den Elben gesehen wurde, nur ein Jahr nach ihrem Verschwinden, mit einem kleinen Baby.“ Eleodora sah den alten Mann verwundert an. Während er erzählt hatte, hatte er ihr zumindest den Schemel und den Korb mit Frühstück geholt und sie saß ihm nun gegenüber und aß. „Ich wollte den Gerüchten natürlich nicht glauben, immerhin wusste keiner von uns, ob Eure Mutter überhaupt noch lebte. Und dass eine Hobbitdame außerhalb von Hobbingen Hobbits finden würde, mit denen sie eine Familie gründen konnte, war höchst unwahrscheinlich. Und dennoch kam sie einige Jahre später mit Euch zurück nach Hobbingen. Und auch, wenn Ihr nicht aussaht, als könntet Ihr so alt sein wie meine Rose, ich glaubte den Gerüchten, egal was Eure Mutter behauptete.“

„Ich kann Euch nicht sagen, welche der Geschichten meiner Mutter wahr sind und welche nicht, denn ich weiß es selbst nicht“, lenkte Eleodora ein.

„Das habe ich auch nicht erwartet.“ Der alte Bauer sah nachdenklich aus. Die tiefen Falten auf seiner Stirn wurden noch tiefer und sein Blich schienen weit von hier entfernt zu ruhen. Die Richtung, in die er blickte, konnten zwar annehmen lassen, dass er Eleodora ansah, aber der Fokus war so verzerrt, dass er wahrscheinlich eher in sich selbst gekehrt war. „Wenn Ihr auf der Suche nach Antworten seid, solltet Ihr vielleicht den Spuren Eurer Mutter folgen“, riet der alte Mann ihr dann plötzlich und stand von seinem Schemel auf, nahm ihren Beutel und ging in sein Haus.

Eleodora sah ihm nur verwirrt hinterher. Hatte er, ein Hobbit, ihr gerade tatsächlich vorgeschlagen, sich auf den Weg zu machen und Hobbingen zu verlassen? Natürlich, er war selbst oft zwischen seiner Farm und Bree unterwegs, aber ihre Reise würde sie nicht nur bis nach Bree führen. Ihre Reise würde sie weit über Bree hinaustragen, wenn sie wirklich den Spuren ihrer Mutter folgen sollte.

Sie sah sich einen Moment um. Sie hatte gehört, was hinter den schönen Hügeln des Auenlandes lag, und das nicht nur von den Geschichten ihrer Mutter. Und lange hatte sie sich schon gewünscht einmal die Elben zu sehen, an die sie sich nur noch so schleierhaft erinnern konnte. Vielleicht würden sie Licht in das Dunkel bringen können. Vielleicht würden sie ihr sagen, können wer ihr Vater wirklich war.

 

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