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Prolog

 

 

 

Alles war dunkel und still. Mit einer kleinen Wasserflasche und einem Müsliriegel bewaffnet saß ich vor dem Fenster unseres Speichers. Seit dem letzten Mal, als ich eine längere Zeit hier oben verbracht hatte, hatte ich einiges dazugelernt. Letztes Mal hatte ich hochschwanger hier oben gesessen, und das für einige Stunden. Ich hatte gefroren und hatte Hunger und Durst gehabt. Damals war das Problem gewesen, dass ich nicht mehr alleine vom Dachboden gekommen war. Jetzt war das Problem, dass ich einige Zeit nicht herunter kommen wollte. 

 

Nachdem ich Seth und Maria heute Morgen zu Viggo gebracht hatte, der mit den beiden erst in einen Zoo fahren und dann mit ihnen grillen wollte, war ich bei meinem Frauenarzt gewesen. Bereits vor einem Monat war ich das erste Mal dorthin gegangen, weil meine Periode ausgeblieben war, und er hatte tatsächlich festgestellt, dass ich schwanger war. Nach den Strapazen bei Marias Geburt  hatte ich Orlando noch nicht damit belasten wollen und hatte ihm noch nichts davon gesagt.

 

Als mein Arzt mir dann heute Morgen mit einem breiten Lächeln während der Untersuchung das Ultraschallbild zeigte und wir nicht nur einen kleinen Kopf sondern zwei gesehen hatten, war ich sprichwörtlich aus allen Wolken gefallen. Ich hatte nur noch auf diese beiden kleinen Köpfe starren können, die ich als Leihe nur als solche erkannte, weil der Arzt es mir gesagt hatte.

 

Das war auch der Punkt gewesen, an dem ich merkte, dass ich es nun nicht mehr länger vor Orlando geheimhalten konnte. Nicht nur, weil ich einfach nur überwältigt war von dieser Nachricht, sondern auch weil ich mir sicher war, dass es ihm bald auffallen würde. Immerhin würde bei Zwillingen mein Bauch wahrscheinlich wesentlich schneller wachsen als bei Maria alleine. Und als ich diese beiden kleinen Köpfe sah, die sich ja eigentlich in meinem Körper befanden, hatte das den emotionalen Ausbruch verursacht, dessen Nachwehen ich nun durchstehen musste. 

 

Als ich nach Hause gekommen war hatte mich direkt Orlandos mittlerweile eingerahmte Liste, die er während der Dreharbeiten zu den „Herr der Ringe“-Filmen geschrieben hatte, begrüßt. Ich hatte nur meine Jacke schnell abgestreift und mich direkt an den Esszimmertisch gesetzt, in dessen Schublade sich eigentlich immer ein kleiner Block und einige Stifte befanden. Dann hatte ich angefangen meine eigene Liste zu schreiben, die Orlando zeigen würde, wie sehr ich ihn liebte und respektierte. Doch bereits während ich schrieb, entwickelte das ganze ein Eigenleben. Es wurde zu einer Art Schnipseljagd durch unser Haus, die ich durch einen roten Faden leitete.

 

Und nun - Orlando hatte mir gerade eine Nachricht geschrieben, dass er Unterwegs nach Hause war - saß ich hier oben auf dem Dachboden. Es würde noch ungefähr eine halbe Stunde dauern, bis er tatsächlich hier war, aber ich wollte kein Risiko eingehen, dass wir uns vorher begegneten.

 

Ich hatte noch den Schwangerschaftstest, den ich bereits vor einigen Wochen gemacht hatte, aus dem Badezimmer geholt und mir über meinen Kuschelpullover noch eine Weste angezogen. Erst oben hatte ich bemerkt, dass es die Weste vom 133. Drehtag vom Herrn der Ringe war und ich musste grinsen, als mich die Erinnerungen überfielen, die mit dieser Weste verknüpft waren: das erste Mal, als Orlando sie mir während einer etwas kälteren Drehnacht übergelegt hatte; der Moment, in dem ich zusammen mit ihm mit voller Wucht in eine Pfütze gefallen war und diese Weste von oben bis unten mit Matsch bedeckt gewesen war.

 

Dann hörte ich in der Stille des Hauses leise das Geräusch eines Schlüssels, der sich in unserem Haustürschloss umdrehte. Das konnte nur Orlando sein und im Schutz des übertönenden „Schatz, ich bin wieder zu Hause!“ und dem Knallen der Tür schlich ich mich vorsichtig in die hintere Ecke des Dachbodens, dessen Dielen manchmal knarrten.

 

Ich ahnte, dass Orlando verwirrt war, dass ich ihm nicht antwortete, denn meistens hatte ich um diese Uhrzeit bereits auf ihn gewartet und Maria gefüttert. Aber diesmal hörte er nichts. Er wusste nur, dass ich hier sein musste, weil erstens die Tür nicht abgeschlossen gewesen war, und zweitens weil er sicherlich bereits den roten Faden entdeckt haben musste, der durch das Haus führte.

 

Ich konnte die gedämpften Schritte hören, während er sicherlich anfing dem roten Faden erst in die Küche und dann ins Esszimmer zu folgen. Als seine Schritte verschwunden waren ahnte ich, dass er wahrscheinlich gerade auf unserem Hochflorteppich im Wohnzimmer gelandet war. Ich wartete förmlich auf das schallende Lachen, das darauf folgte, als er diese kleine Nachricht las, und er enttäuschte mich nicht. Sein Lachen brachte sogar mich zum Lächeln und ich merkte wie ich den starken Drang verspürte, einfach nach unten zu klettern und ihm alles direkt zu sagen.

 

Aber ich schaffte es diesem Drang zu widerstehen. Ich hatte mir so viel Mühe gemacht und schon bei Maria hatte ich es ihm nicht so sagen können, wie ich es gewollt hatte. Dieses Mal sollte es wirklich etwas Besonderes sein.

 

„Clevere Sache mit der Treppe!“, hörte ich ihn dann rufen und ich wusste, er wollte mir nur ein Kichern entlocken, um feststellen zu können, wo genau ich mich gerade befand. Mein Vorteil war, dass ich genau wusste, wo er gerade war, und wusste, dass ich nun wirklich ganz leise sein musste. Wenn er das Ende der Treppe erreicht hatte, würde er mich hören können, sobald ich auch nur einen Mucks von mir gab. Und genau das war ziemlich schwer, vor allem als er aus Versehen im Badezimmer, wohin das Band, das ich gelegt hatte, ihn als erstes führte, auf eine von Marias Quietscheenten trat und diese einen ziemlich gequälten Ton von sich gab.

 

Er war also bei Punkt Drei angekommen und ich wusste, dass die emotionalsten Punkte noch folgen würden. Wahrscheinlich würde ich es sogar schaffen, den sonst von außen so toughen Orlando Bloom tatsächlich zum weinen zu bekommen, und das ohne Regieanweisung und Kameras um ihn herum. Lächelnd musste ich mich an den Film „Elisabethtown“ erinnern, in dem Orlando alias Drew Baylor ziemlich überzeugend sagte: „I don’t cry.“

 

„Ich werde dir das bis an unser Lebensende vorhalten!“ Ich biss mir so fest ich konnte auf die Unterlippe, so stark musste ich mir das Lachen verkneifen. Ja, wahrscheinlich hatte er damit sogar Recht. Wahrscheinlich würde ich niemals das Ende des Ganzen hören und wahrscheinlich würde ich nicht die einzige sein.

 

Dann hörte ich das charakteristische Knarzen unseres Bettes, wenn man sich darauf setzte. Orlando war also bereits im Schlafzimmer angelangt, das bedeutete, dass nur noch wenige Nachrichten übrig blieben, die er zu lesen hatte, bevor er hier hoch kommen würde. Nicht mehr lange und er würde mein Geheimnis kennen. Mittlerweile war die kleine Wasserflasche, die ich mir mit hier hoch genommen hatte, schon leer und auch die Weste, die ich mir mitgenommen hatte, erfüllte ihren Zweck, denn es war kalt hier oben, weil die Sonne draußen nicht mehr schien. Durch das kleine Dachfenster hatte ich sie langsam hinter den Bäumen verschwinden sehen, aber es war noch nicht gänzlich dunkel. Ein bisschen Licht erreichte den Dachboden noch, gerade genug, dass ich die kleine Schachtel, die ich direkt vor den Aufgang gelegt hatte, sehen konnte. Sie schrie mich förmlich an sie zu greifen und sie Orlando zu bringen. Der Drang ihn zu sehen, zu sehen wie er reagierte, wenn er erfuhr, dass ich wieder schwanger war, war so groß, dass er kaum noch auszuhalten war.

 

Ich erschrak förmlich, als er vom Arbeitszimmer nach oben rief, dass er mich liebte. Dann hörte ich auch schon seine Tritte auf der Leiter nach oben und ich merkte, wie mein Körper begann vor Aufregung und Nervosität zu zittern. Nur noch wenige Augenblicke und er würde die Schachtel sehen. Würde er direkt bemerken, was es war? Würde er diesen Hinweis verstehen?

 

Ich konnte ihn nur schemenhaft sehen, als sein Kopf endlich durch die Öffnung des Dachbodens kam. Ich sah seine verwunderte und doch sehr berührte Miene, als er auf die Verpackung des Schwangerschaftstestes sah. Er hatte sie gesehen, hatte verstanden, was es war, aber anscheinend wollte er es nicht wahrnehmen, zumindest nicht solange er nicht den eigentlichen Test sah, der in nur kleinem Abstand von mir lag. Ich sah, wie er die Schachtel wieder hinlegte und weiter in meine Richtung kam. Wahrscheinlich konnte er mich aus dieser Nähe hören, denn ich konnten nicht leugnen, dass ich nun, da er so nahe war, leicht schluchzte.

 

„Heilige Scheiße“, sagte er dann, als er den wirklichen Test sah. Ich stand vorsichtig und langsam auf, doch er schien mich auf einmal nicht zu bemerken, schien nur gebannt auf diesen Test und dessen Ergebnis zu sehen. 

 

„Das habe ich auch gesagt“, lenkte ich also seine Aufmerksamkeit auf mich, doch was ich in seinen Augen sah, ließ mich einen kleinen Schritt zurücktreten. Es war Angst und Unsicherheit. Ich traute mich beinahe nicht noch näher zu ihm zu kommen, die Kartons, die noch immer von unserem Umzug hier oben standen und die noch zwischen uns lagen, hinter mir zu lassen. Doch dann lockerte sich seine Miene wieder. Wahrscheinlich hatte er bemerkt, wie besorgt ich auf einmal ausgesehen haben musste.

 

„Du…“, begann er und ich nickte nur kurz mit dem Kopf, denn zum Sprechen war ich nun nicht mehr in der Lage. Ich merkte bereits, wie sich ein dicker Kloß in meinem Hals bildete, und mein Kinn begann zu beben. „Wir. Ich meine, ich…“

 

„Ja“, antwortete ich und sah ihn immer noch genau an. Ich traute mich nicht ihn zu umarmen. Ich sah genau, was er dachte. Er dachte an Marias Geburt und seine erste, verlorene Tochter. Die Geburten von seinen Kindern waren nie einfach gewesen und wahrscheinlich hatte er Angst, dass es noch einmal so verlaufen oder vielleicht sogar schlimmer werden könnte. In dem Versuch, meine Tränen zurückzuhalten, presse ich meine Hände so fest ich konnte in die Taschen der Weste. Was würde ich tun, wenn er der Meinung war, dass es besser war, die Zwillinge nicht zu bekommen? Was würde ich tun, wenn er böse auf mich war, dass ich ihm wieder solche Sorge bereitete? Ich merkte unweigerlich, wie die Tränen meine Augen füllten und ich angestrengt kämpfte sie zu verbergen.

 

Doch dann endlich zog Orlando mich energisch zu sich und drückte mich feste an sich. Er drückte mich so feste, dass es wahrscheinlich sogar unsere beiden Kleinen gespürt hatten, auch wenn sie ziemlich gut gepolstert waren. Ich spürte auf einmal etwas Nasses an meinem Nacken und merkte, wie er leicht zitterte, aber ich wusste, dass er sich freute. Die Zweifel waren verflogen. Es war wieder eine dieser Sachen, die man in unserer Beziehung nicht erklären konnte. Ich wusste einfach, dass er sich freute, und das brachte auch mich dazu, ihn meinerseits zu umarmen und endlich meinen Tränen freien Lauf zu lassen. 

 

Wir beide hatten Angst vor dem, was passieren könnte, doch wir beide wussten, dass wir auch das überstehen würden. Orlandos Gesicht, als ich ihm dann auch noch offenbarte, dass es Zwillinge werden würden, war unbezahlbar. Und sofort verspürten wir beide den Drang, diese gute Nachricht auch mit unseren beiden anderen Kindern zu teilen, die sich momentan noch bei ihrem Patenonkel Viggo befanden. Nach einer kleinen privaten Feier in unserem Schlafzimmer holten wir die beiden also ab und da Viggo noch nicht mit ihnen gegrillt hatte, gingen wir mit ihnen in ein Restaurant. Maria verstand natürlich noch nichts von dem Ganzen, denn dazu war sie einfach noch zu klein, aber Seth schien sich zu freuen, hoffte er doch sicherlich insgeheim endlich einen Bruder zu bekommen.

 

Doch die Nachricht, dass wir Zwillinge bekommen würden, war nicht die einzige positive Nachricht des Tages, die unsere Familie erreicht hatte.

 

Wir hatten gerade Seth ins Bett gebracht und die kleine Maria, die wieder einmal nicht in ihrem Bettchen schlafen wollte, in unsere Mitte gelegt und scherzten etwas über die Pros und Contras, die ich in Orlando sah, da fiel ihm anscheinend wieder ein, was er mir schon die ganze Zeit hatte sagen wollen. Ich stützte mich also aus meiner liegenden Position wieder auf, um ihn genau anzusehen, hörte ich doch in seiner Stimme, dass es anscheinend etwas Wichtiges war.

 

„Ich habe heute Morgen ein Angebot für einen Film erhalten.“ Seine Stimme klang merkwürdig geheimnisvoll, was auch der einzige Grund war, warum ich nicht direkt etwas sagte, sondern ihn aussprechen lassen wollte. Doch er hielt einen Moment inne. Ein Angebot für einen Film war gut, aber es würde sicherlich bedeuten, dass er wieder herumreisen musste, denn das bedeutete es fast immer. Er war nun schon so lange nicht mehr viel gereist, dass der pure Gedanke, ihn einige Zeit nicht zu sehen, mich schon schmerzte, vor allem jetzt.

 

Anscheinend sah er die Besorgnis in meinen Augen, weswegen er schnell weitersprach und mich erlöste. „Man hat aber darauf bestanden, dass ich meine Familie mitbringe. Ohne dich darf ich gar nicht in Wellington aufkreuzen“, sagte er und ich merkte, wie die Räder in meinem Kopf sich langsam bewegten.

 

„Wellington?“ Hatte er tatsächlich Wellington gesagt? Wenn ich richtig gehört hatte, dann kam nur eine Person in Frage. „Was hat Peter denn jetzt schon wieder vor?“, fragte ich also, denn wir waren ja vor nicht allzu langer Zeit mit ihm zusammen gewesen. Und auf einmal sah ich das verschmitzte Grinsen unseres Freundes direkt vor mir, nur auf den Lippen meines Mannes.

 

„Ich werde wieder Legolas sein“, sagte er und sein Lächeln wurde noch breiter. Ich sah ihn jedoch verwirrt an. Was hatte das zu bedeuten? Wollte Peter nach 10 Jahren ein Remake der Filme machen? Wie sonst konnte er Orlando wieder als Legolas brauchen? Ich wusste nicht so richtig, was ich von dieser Idee halten sollte. Natürlich, es wäre wunderbar, die alten Gesichter wiederzusehen, doch es war einfach noch nicht an der Zeit für ein Remake.

 

„Was ist los? Freust du dich nicht?“, fragte Orlando und sah dabei beinahe etwas enttäuscht aus. Wahrscheinlich hatte er erwartet, dass ich ihm vor lauter Freude um den Hals fallen würde.

 

„Doch, es wäre klasse alle wiederzusehen, aber ich glaube nicht, dass es klappen wird. Für ein Remake ist es einfach noch zu früh.“

 

„Remake? Wer redet von einem Remake?“, fragte er mich und die Enttäuschung war Verwunderung gewichen. Dann schien er jedoch zu bemerkten, was mich verwirrte, und lachte leise, um unsere Tochter nicht aufzuwecken. „Ich weiß, Legolas kommt sonst in keinen Buch mehr vor, aber Peter will sich da ein paar dichterische Freiheiten erlauben. Immerhin kommen die Zwerge ja nach Düsterwald und da Legolas schon ziemlich alt ist, muss er zu diesem Zeitpunkt auch da gewesen sein.“

 

„Er will doch nicht etwa...?“, fragte ich erstaunt und gleichzeitig seltsam aufgeregt, denn was anderes konnte Orlando nicht meinen. Ich sah meine unausgesprochene Vermutung bereits in seinem Gesicht und ich konnte die Freude kaum unterdrücken, als er sie mit nur fünf Worten bestätigte: „Er wird den Hobbit verfilmen.“

 

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