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Jubel

 

 

 

 

„Oh, Shit!“, war das Erste, was ich vernahm, als ich nach diesem eher ereignislosen Tag am Set nach Hause kam. Ich hatte noch nicht einmal richtig die Haustüre geschlossen und wurde schon von meiner fluchenden Frau und großem, schepperndem Lärm begrüßt. Ich widerstand dem Drang, sofort zu ihr zu laufen, um zu sehen, was los war.

 

Sie war alt genug, und wenn sie sich wirklich verletzte, klang es meistens anders. Dann hatte sie keine Luft mehr zum Fluchen, das hatten wir auch schon öfter erlebt. Wenn ich nur daran dachte, wie ich vor zwei Jahren an Weihnachten morgens die Treppe herunter gekommen war und sie mit einem Handtuch um die Hand gewickelt auf dem Sofa saß. Damals hatte sie sich beim Vorbereiten des Weihnachtsessens beinahe die ganze Hand aufgespießt.

 

Damals hatte sie geduldig eine Stunde gewartet, bis ich aufgewacht war, und hatte keinen Ton von sich gegeben. Daher war ich mir sicher, dass ihr einfach nur etwas heruntergefallen war, weil sie mal wieder vergessen hatte, sich die Topflappen zu nehmen, bevor sie den Deckel von einem Topf nahm. Dazu passte nämlich auch das Geräusch von laufendem Wasser, was auf einmal zu hören war.

 

Ich musste schmunzeln bei dem Bild, was mir in den Kopf schoss. Immer, wenn Teti sich die Finger verbrannte, dann packte sie sich mit diesen Fingern eigentlich direkt an ihr Ohr und ging dann zum Wasser. Ich wusste selbst nicht wieso, aber diese Eigenart hatte ich schon immer ziemlich reizend gefunden. Es war etwas, das ich nur von ihr kannte, was ich bei noch keinem Mensch vorher gesehen hatte.

 

„Mom, alles okay?“, hörte ich eine Stimme von oben und ich wusste, dass es mein Sohn war. Wahrscheinlich hatte auch er den Lärm gehört und war endlich einmal von seinem Computer aufgestanden. Ich bereute immer noch, letztes Jahr an Weihnachten, entgegen dem Willen meiner Frau, meinem Sohn einen Computer gekauft zu haben, denn seitdem saß er wahrscheinlich mehr vor diesem Ding als alles andere.

 

„Ja, schon gut, Seth. Ich habe mich nur etwas erschreckt“, antwortete Teti und sie lachte auch noch leicht dabei. Anscheinend schien Seth das zu beruhigen, denn sofort hörte man, wie sich die Tür zu seinem Zimmer wieder schloss. Mit seiner Frage hatte mein Sohn verhindert, dass ich fragen musste, und mich meine Frau somit bemerken würde. Erst, als es wieder still war, fiel mir die Instrumentalmusik auf, die in der Küche zu laufen schien.

 

„Save me, Save me …“, sang Teti und ich war mehr als erstaunt. Ich hatte sie schon sehr lange nicht mehr singen hören. In der Tat nicht mehr seit unserer Hochzeit und es war schön einmal wieder daran erinnert zu werden. Als ich dann meine Jacke abgelegt hatte und endlich in unser geräumiges Esszimmer trat, von dem ich auch in die Küche blicken konnte, erstaunte es mich noch mehr.

 

Dort stand meine wunderschöne, außerordentliche Frau und ahmte nach, ein Saxophon zu spielen, während es im Radio ertönte. Ich hatte sie schon lange nicht mehr so befreit und entspannt gesehen, aber irgendetwas schien sie wirklich glücklich zu machen.

 

Leise schritt ich also an sie heran, darauf bedacht, dass sie mich nicht bemerkte. Das war nicht sonderlich schwer, da die Musik in der Küche doch lauter zu sein schien, als sie mir noch im Esszimmer vorgekommen war. Im Takt rührte sie durch die einzelnen Töpfe und glitt elegant durch die Küche, während sie die einzelnen Gewürze zusammensuchte, um ihre mittlerweile legendäre Pasta zu machen.

 

„You think I don't laugh oh, do things I can like so, why are we losing time?” Ich musste mein Lachen wirklich zurückhalten, als sie nun nach dem Kochlöffel griff, den sie gerade noch in der Hand gehalten hatte, und ihn als eine Art Mikrophon missbrauchte und ihn dann schnell bei dem nächsten Saxophon-Solo zu einem Blasinstrument umfunktionierte.

 

„It’s like I’ve seen the light.“

 

Sie erschreckte sich leicht, als ich auf einmal hinter ihr stand und meiner Arme um ihre Taille schwang, um sie von hinten zu umarmen. Ich merkte deutlich, wie sie leicht zusammenzuckte und den Kochlöffel direkt fallen ließ.

 

„Ich kenne dein Geheimnis“, flüsterte ich ihr ins Ohr und auf einmal drehte sie sich beinahe erschrocken um und sah mich mit ihren großen braunen Augen genau an. In diesem Moment dachte ich wirklich ein unschuldiges, vollkommen verängstigtes Bambi vor mir zu sehen und es irritierte mich ziemlich.

 

„W-wie kannst du es wissen?“, fragte sie und ihre Stimme klang beinahe etwas belegt. In ihren Augen war plötzlich eine Enttäuschung zu sehen, die ich nicht richtig verstand. Ich umschloss also ihr Gesicht mit meinen Händen und küsste sie in der Hoffnung, dass die Enttäuschung aus ihrem Gesicht floh, aber als ich sie wieder ansah schien sie immer noch bedrückt.

 

„Wie kann ich es nicht wissen? Es ist ziemlich unschwer zu erkennen“, scherzte ich, aber das schien sie nicht zu einem Lächeln zu bringen. Im Gegenteil, es schien sie nur noch mehr zu verunsichern.

 

„Keine Angst, ich werde es niemandem verraten“, flüsterte ich und auf einmal stiegen Tränen in ihren Augen auf. Sofort fragte ich sie, ob sie sich vielleicht doch verletzt hatte, als ihr was auch immer herunter gefallen war, aber sie schüttelte nur schluchzend den Kopf. So hatte ich sie noch nie gesehen.

 

„Ich wollte es dir eigentlich später sagen, wenn Seth im Bett ist. Es sollte eine Überraschung werden“, jammerte sie und schien kaum noch Luft zu bekommen. Vorsichtig und ziemlich besorgt führte ich sie zu unserem Esstisch und setzte sie auf einen der Stühle. Was war nur mit ihr los, dass sie auf einmal begann so zu weinen? „Ich… Ich wollte mit dir vor dem Kamin sitzen und wenn du mich dann im Arm gehalten hättest, dann - dann hätte ich das Ultraschallbild herausgeholt.“ Und dann holte sie mit zitternden Händen ein Bild aus ihrer Hosentasche heraus und legte es auf den Esszimmertisch. Ich konnte meinen Augen nicht trauen.

 

Das war sicherlich nicht das, was ich gemeint hatte, aber ich verstand nun, warum sie so weinte. Sie konnte einfach nicht anders. Sie konnte einfach nicht anders, weil ihre Hormone verrückt spielten. Und selbst, wenn ich sicherlich keine Frau war, genau in diesem Moment spielten auch meine Hormone verrückt.

 

Ich lachte unweigerlich auf und hob Teti förmlich aus ihrem Stuhl heraus, um sie in meinen Armen durch die Luft zu wirbeln. Ich würde noch einmal Vater werden! Jetzt war sie es, die mich verwundert und mit geschwollenen Augen ansah, als ich sie wieder absetzte.

 

„Ich hatte das Geheimnis gemeint, dass du in der Küche singst und tanzt“, lachte ich heiter und küsste sie. Für Teti war es eher schwer, direkt fröhlich auszusehen, da ihre Augen ziemlich feucht und glasig waren und ihre Nase ziemlich verstopft zu sein schien. Aber ich konnte ein leichtes Kichern ihrerseits vernehmen, als auch sie den Irrtum verstand, dem wir anscheinend unterlegen waren.

 

„Und jetzt habe ich es dir so verraten, weinend wie ein Schlosshund“, sagte sie und schluchzte unfreiwillig, während ich herzhaft lachte. Ja, irgendwie hatte ich mir auch nicht vorstellen können, dass sie es mir wirklich so romantisch vor dem Kamin erzählt hätte, denn das wäre einfach nicht Tetis Art gewesen. Wobei, wer wusste schon genau, was die Hormone mit einer Frau anstellten, wenn sie schwanger war.

 

Im Hintergrund klang gerade das Lied mit einem lang gezogenen ‚save me‘ aus und ich wusste, wahrscheinlich würde ich dieses Lied mein Leben lang nicht mehr vergessen, einfach weil es an so einem wichtigen Moment gelaufen war. Wahrscheinlich würde ich es für den Rest meines Lebens im Kopf haben, wenn ich meinen neuen Nachwuchs in dem Armen halten würde.

 

 

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