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Entscheidungen

 

 

 

 

Grübelnd stand ich vor dem großen Spiegel, der in die Tür meines Kleiderschrankes eingebaut war. Mir lachte ein junger, gut gebräunter Mann entgegen, doch als ich an mir selbst herunter blickte, begann mein Blick zweifelnd auszusehen. Das schwarze, kleidähnliche Kostüm sah wirklich alles andere als gut aus. Es war billiger Stoff und auch billig gefertigt. Nicht, dass ich unbedingt etwas Teures gewollt oder gebraucht hätte, aber da es billig war, sah es vollkommen unauthentisch aus.

 

Der Kragen, der eigentlich aus Perlen und Edelsteinen hätte sein sollen, bestand aus Stoff, und die verschiedenen Edelsteine und Perlen waren nur aufgedruckt. Das Gold, das den Kragen und auch andere Teile der Kleidung hätten einrahmen sollen, war nichts weiter als seltsam glitzernder cremefarbener Stoff. Auch der Gürtel bestand aus Stoff und das Kostüm kratzte, weil das Material anscheinend nicht chemikalienfrei war.

 

„Ich kann das nicht tragen“, murmelte ich eher zu mir selbst, wusste ich doch, dass Astrate es sicherlich nicht gefallen würde, wenn ich mich weigerte, dieses Kostüm zu tragen. Seitdem sie schwanger war, war die ganze Sache zwischen uns komplizierter geworden. Sie war nicht mehr, so schlimm das auch klang, nur für den Spaß da. Ich hatte eine gute moralische Erziehung genossen und wusste, dass ich nun für sie und mein Kind würde sorgen müssen. Mir war klar, dass ich sie würde heiraten müssen. Das sollte nicht so klingen, dass ich Astrate nicht liebte, denn das tat ich, nur irgendwie konnte ich sie mir nicht als liebende Ehefrau und Mutter vorstellen.

 

„Aber du hast mir versprochen, wir würden als Ramses und Isisnofret gehen!“, rief sie aus dem Badezimmer und ich hörte bereits wieder den Missmut in ihrer Stimme. Ich sagte mir, dass es einfach nur ihre Hormone waren, die sie so reagieren ließen.

 

„Das werden wir auch, aber nicht in diesem Kostüm. Ich … ich hab mal einen Film gesehen, über Ägypten, und der Schauspieler, der den Pharao gespielt hat, dessen Kostüm hat authentisch gewirkt“, sagte ich und ich war froh, dass sie mein Stocken anscheinend nicht bemerkt hatte. Ich hatte ihr noch nichts von meinen Träumen berichtet, denn ich hatte Angst, dass sie mich für verrückt halten würde.

 

„Und was willst du tun? Das Kostüm besorgen? Ich glaube kaum, dass das irgendjemand noch hat“, sagte sie beinahe spöttisch, aber ich ließ es über mich ergehen, wie so viele ihrer Anwandlungen in der letzten Zeit, immer wieder mit der Entschuldigung, dass sie schwanger war.

 

„Ich will auch nicht genau das Kostüm“, sagte ich dann und schnappte mir meine Schuhe. Ich wusste genau, wo ich nun hinmusste, und es würde mir gut tun ein paar Stunden nicht Astrates Launen abzubekommen, dessen war ich mir sicher. Ich machte mich also auf den Weg zu Ngila Dickson, unsere Kostümdesignerin. Ich wusste, wenn jemand ein authentisches Kostüm hinbekommen würde, dann sie.

 

Ich brauchte ihr noch nicht einmal viel erklären oder sie groß darum bitten. Sie rief sofort einige ihrer Leute zu sich und schien schon in ihrer Arbeit zu stecken. Kurz kritzelte sie einen skizzierten Mann auf das Blatt und sah dann zu mir. Sie schien meine Proportionen noch mal abzuschätzen, dann nickte sie kurz und begann die ersten Linien der Kleidung zu ziehen. Als sie fertig war, war ich erstaunt. Anscheinend kannte sie sich etwas aus mit der Materie. Dann erklärte sie mir, dass sie bis vor wenigen Monaten noch als Kostümdesignerin für Hercules und Xena gearbeitet hatte und sie damals viele Nachforschungen angestellt hatte. Anscheinend hatte sie ihre Arbeit gut gemacht, obwohl sie selbst zugeben musste, dass die Kostüme in der Serie nicht gerade ihre besten Arbeiten gewesen waren.

 

„Den Kragen, den Gürtel und die Armreifen werden wir von den Schmieden machen lassen, den Rest mache ich selbst““, sagte sie und lächelte mich stolz an. Wahrscheinlich war sie froh, ihr Wissen von damals wieder hervorholen zu können. Doch etwas fehlte noch, bis unsere Vorstellungen zusammen passen würden.

 

„Ich habe auf einem Relief im Internet gesehen, dass Ramses manchmal ein Leopardenfell trug, als eine Art Oberteil, das nur eine Schulter bedeckte, und hinten und vorne am Gürtel befestigt war“, bemerkte ich also und kaum hatte ich diese Idee ausgesprochen, tippte sie schon wie wild auf der Tastatur ihre Laptops herum. Anscheinend suchte sie dieses Relief, um sich selbst ein Bild davon zu machen, wie es aussah. Als sie tatsächlich eines fand, war ich durchaus erleichtert, denn natürlich hatte ich meine Information nicht aus dem Internet.

 

„Okay, ich glaube, das bekommen wir auch noch hin. Ich schätze mal, das Kostüm ist für Silvester?“, fragte sie und grinste mich an. Ich nickte nur und sah sie fragend an. Dann erzählte sie mir, was Peter für diesen Abend geplant hatte. Einen Wettbewerb, in dem das schönste Kostüm gekürt werden würde. Daraufhin wollte ich ihr schon fast sagen, dass sie das Kostüm lieber doch nicht machen sollte, aber sie schien sich so darüber zu freuen, dass ich es doch nicht tun konnte. „Glaub mir, wenn ich fertig bin, wird keiner einen Zweifel haben, dass du ein Pharao bist“, sagte sie und ich wusste, sie meinte es eigentlich anders, aber es jagte mir einen Schauer über den Rücken. Sie versicherte mir dann noch, dass es spätestens eine Woche vor Silvester fertig werden würde, und ich war zufrieden.

 

„Wo warst du so lange?“, begrüßte mich Astrate mit vor der Brust verschränkten Armen, als ich wieder nach Hause kam. Ich musste zugeben, im Moment war ich lieber unterwegs als zu Hause, auch wenn das sicherlich nicht der richtige Weg war damit umzugehen. Ich freute mich darauf Vater zu werden, einfach in der Hinsicht, dass ich neues Leben erschaffen hatte. Aber ich wusste auch, dass es alles andere als ein passender Zeitpunkt war. Meine Karriere hatte noch nicht einmal richtig begonnen und ich war auch noch relativ jung.

 

„Ich war am Set. Ich habe Nglia gebeten, mir ein richtiges Kostüm zu machen. Wusstest du, dass es ein Kostümwettbewerb geben wird? Sie hat es mir eben erzählt.“ Ich wusste, dass das Wort „Wettbewerb“ sie etwas freudiger stimmen würde, doch ich hatte nicht erwartet, dass sie auf einmal vollkommen euphorisch werden würde. Sie schmiss ihre eigentliche Verkleidung, ein ziemlich kurzes, aufreizendes Cleopatra-Kostüm, in den Müll und rief umgehend ihre Mutter an. Sie war Schneiderin und sicherlich wollte Astrate sich ebenfalls etwas Besonderes machen lassen. Sie liebte es ihren Körper in Szene zu setzen und wenn sie dabei noch im Mittelpunkt stehen konnte, dann war die Sache perfekt. Eigentlich mochte ich so etwas an einer Frau nicht, aber Astrate war da eine Ausnahme. Es machte mich auf eine primitive Weise stolz, eine körperlich so attraktive Frau mein Eigen nennen zu können.

 

Zwei Wochen später stand ich dann wieder vor dem Spiegel in meinem Schlafzimmer, aber dieses Mal sah ich nicht skeptisch an mir hinunter. Mir gefiel, was ich sah, und ich kam nicht umhin zu bemerken, dass ich ziemlich authentisch wirkte. Das einzige, was mir nicht sonderlich gefiel, war das ziemlich freizügige Kleid meiner Freundin. Sie hatte beinahe einen Hauch von Nichts an und schien sich darin sehr wohl zu fühlen. Sie sah nicht wie eine ägyptische Königin, sondern eher wie eine ägyptische Tänzerin aus. Aber sie behauptete, das sei das letzte Mal für eine lange Zeit, dass sie sich sexy würde fühlen können, und das wollte sie sich nicht nehmen lassen. Was sollte ich schon sagen? Ich konnte ihr ja schlecht sagen, dass es mir nicht gefiel, wenn andere Männer sie ansahen, als sei sie ein Stück Fleisch. Manchmal erwischte ich mich ja selbst dabei.

 

Nachdem sie sich angezogen, oder besser gesagt ausgezogen hatte, brauchte sie dann noch zwei weitere Stunden im Badezimmer, was dazu führte, dass wir zu spät kamen, und ich war mir sicher, wir würden sogar die letzten sein, auf die alle noch warteten. Es war mir äußerst peinlich, war es doch auch sonst immer so, dass ich öfters zu spät kam.

 

„Hey, Orli, da seid ihr ja endlich!“, schrie mir Sala entgegen, als ich dann mit Astrate den Club betrat. Und natürlich lagen sofort alle Augen auf uns, oder besser gesagt auf Astrate. Ich fand es eher unpassend, immerhin war sie schwanger, aber ich wusste, es war besser sie das machen zu lassen, was sie wollte. Ihr gefiel die Aufmerksamkeit, die sie von den anderen bekam, eindeutig. Ich blickte für einen Moment durch die Menge, in der Hoffnung schnell die anderen zu finden, um dieser peinlichen Situation aus dem Weg zu gehen, und mein Blick fiel schnell auf sie.

 

Innerhalb einer Sekunde fühlte ich mich in einen meiner Träume zurück versetzt. Einen, den ich vor einiger Zeit gehabt hatte, als wir nach Queenstown geflogen waren. Die Umgebung schien mit der Erinnerung zu verschmelzen und sie stand nicht mehr umgeben von ihren Freunden an einem Stehtisch, sondern alleine vor einem großen steinernen Schrein, angestrahlt von der Sonne. Dominic, Billy, Elijah und die anderen, die um sie herumstanden, waren nur noch schemenhaft für mich hinter der Szenerie des Traumes zu erkennen. Nur sie war mehr als deutlich. Als sie sich umdrehte, bildete ich mir schon fast ein, denselben Luftzug zu spüren, den ich auch in meinem Traum gespürt hatte.

 

„Du siehst echt klasse aus, Orlando. Wo hast du das Kostüm her?“, unterbrach dann Viggo plötzlich meine Gedanken und zog mich ein bisschen von Astrate weg. Wahrscheinlich hatte er die Gefahr aufziehen sehen, wenn ich und Teti uns noch länger angestarrt hätten. Er zog mich mit sich zur Bar und Astrate schien es kaum zu stören, immerhin war sie von Männern umgeben, die sie bewunderten.

 

„Nglia hat es für mich entworfen, nach einer Vorlage von mir, versteht sich“, sagte ich und zwinkerte Viggo einmal zu. Seitdem ich wusste, dass er auch der Meinung war, dass dies nicht sein erstes Leben war, hatte es eine gewisse Verbindung zwischen uns gegeben. Um ehrlich zu sein, wäre ich eine Frau gewesen, ich hätte mich vermutlich umgehend in den sympathischen Dänen verliebt. Aber so war es eher eine enge Freundschaft geworden.

 

„Ich denke, du warst nicht der einzige, der sein Kostüm nach einer gewissen Vorlage gemacht hat“, sagte Viggo zwinkernd. Ich kam nicht umhin zu denken, dass er mich viel lieber mit Teti sah als mit Astrate. Es war schon komisch. Ich hatte Astrate direkt bei meiner Ankunft hier in Neuseeland kennen gelernt. Keiner außer Billy kannte mich praktisch ohne sie, schon gar nicht Viggo. Und dennoch schien ihm diese Konstellation überhaupt nicht zu gefallen, so als sei er der beschützende Elternteil, der den Sohn vor einer großen Dummheit bewahren und ihm einen bessere Weg aufzeigen wollte.

 

Dieser bessere Weg schien laut Viggo Teti zu sein, und das Shlimme an der ganzen Sache war, dass er mich auf einem Fuß erwischte, der nicht gerade standhaft war. Seit ich Teti in Queenstown zum ersten Mal gesehen hatte, hatte ich gemerkt, wie eine gewisse Anziehung mich immer wieder zu ihr zog, wie ich mich nicht von ihr fernhalten konnte, selbst wenn ich wusste, dass es eigentlich gesünder für mich war. Wenn es um Teti ging war ich die Motte, die unweigerlich in das Licht flog, um sich zu verbrennen.

 

„Oh, noch eine Königin““, sagte ich also, als ich direkt hinter ihr an der Bar stand, und sie drehte sich etwas irritiert um. Anscheinend hatte sie gar nicht bemerkt, wie ich zu ihr gegangen war und um ehrlich zu sein, ich hatte es auch nicht bemerkt. Es war wieder einer der eben genannten Momente gewesen, in denen ich nichts dagegen tun konnte.

 

„Wie ich sehe, habt ihr beide euch für Cleopatra entschieden. Aber die war doch mit Cäsar zusammen, und nicht mit einem ägyptischen Pharao“, sagte sie lächelnd. Ich hatte diese Antwort bereits erwartet. Immerhin wusste ich ja, dass Teti Ägyptologie studierte. Dann sah ich, wie sie sich noch einmal umsah, und ich wusste, was sie beschäftigte: dasselbe wie mich. Aber ich wusste, Astrate war weit genug entfernt, um nicht direkt wieder eine von ihren Eifersuchtsszenen zu spielen.

 

„Na ja, da ich mit Dominic gesprochen hatte und er mir erzählte, er verkleide sich als Cäsar, schied diese Möglichkeit aus. Aber Astrate wollte unbedingt als Ägypterin gehen. Also hatte sie vorgeschlagen, dass wir Ramses und Isisnofret darstellen wollen. Ich hab mir ein Relief von ihm herausgesucht und hab dann Nglia gebeten, mir so ein Kostüm zu machen“, erklärte ich ihr dann und hoffte, dass sie nicht weiter nachfragte. Ich wollte sie zwar nicht anlügen, aber wahrscheinlich würde sie mich für verrückt halten, wenn ich ihr sagte, dass ich dieses Kostüm aus einem meiner Träume hatte, in dem sie nebenbei gesagt eine ägyptische Königin spielte, meine Königin.

 

„Aber ich muss dir ein Kompliment machen. Du siehst umwerfend aus“, sagte ich dann nach einer kurzen Weile, in der ich nicht anders konnte als sie von oben bis unten zu betrachten. Sie hatte wirklich an jedes Detail gedacht, an jedes einzelne, und ihr Kostüm sah weitaus eleganter und würdevoller aus als das meiner Freundin. Teti strahlte die Würde einer Königin aus, während Astrate eher wirkte wie eine Gespielin. Es war schon komisch wie sich Realität und Traum immer und immer mehr miteinander zu vermischen schienen, wie sie einfach ineinander übergingen und so der Traum beinahe zu etwas Realem wurde.

 

„Tja, jetzt ist das Jahr und das Jahrhundert gleich vorbei…“, seufzte ich beinahe und ich sah Teti an, dass sie anscheinend sehr viel Konzentration darauf verschwendete ruhig zu bleiben. Es schmeichelte mir, dass ich anscheinend diese Wirkung auf sie hatte, aber wir beide wussten, dass es nicht sein durfte, auch wenn es mich innerlich beinahe umbrachte. Ein Teil von mir, einer, der in den letzten Wochen und Monaten immer mehr nach außen gedrungen war, wollte sie einfach bei sich haben, sie festhalten und nie wieder gehen lassen. Der andere Teil, der Rationalere, wusste, dass ich bald Vater werden würde und eine Verantwortung hatte gegenüber meinem Kind und dessen Mutter. Die Zeit, in der ich mir eine Frau aussuchen konnte, war vorbei. Durch eine Unachtsamkeit hatte ich mich für Astrate entschieden. Doch genau in diesem Augenblick schien mir dies der größte Fehler zu sein, den ich je in meinem Leben machen würde.

 

Bevor Teti und ich jedoch eine noch größere Dummheit begehen konnten, kam Peter auf einmal zu uns und bewahrte uns vor sehr großen Problemen, zumindest für die nächsten Minuten. „Sollte ich jemals einen Film über das alte Ägypten drehen, ihr seid jetzt schon engagiert“, bemerkte er. Ich musste sofort lachen, als ich in Tetis leicht entsetztes Gesicht sah. Sie war alles andere als gewillt in einem Film aufzutreten, das wusste ich. Das war auch wieder etwas, das sie von Astrate unterschied. Sie blieb am liebsten im Hintergrund, während Astrate alle Scheinwerfer auf sich gerichtet haben wollte.

 

„Ich sehe, du hast auch das Heka und ein Nechech dabei. Du bist wirklich gut ausgerüstet“, sagte Teti dann nach einer kurzen Sekunde des Schweigens. Wahrscheinlich wollte sie Peter keine Gelegenheit geben tatsächlich über das nachzudenken, was er gerade gesagt hatte, denn das Bild, das wir zusammen abgaben, war mehr als aussagekräftig. Es schrie förmlich danach einen Film zu drehen. Ich grinste sie nur an. Es war einfach typisch Teti und wahrscheinlich vermutete sie, ich wüsste nicht, wovon sie sprach. Aber das wusste ich sehr wohl und ich wollte es ihr auf eine unterschwellige Art zeigen. Also sprach ich sie auf das Modius, die Geierhaube, an, die sie trug, und ich sah in ihrem Gesicht, wie die Zahnräder in ihrem Kopf begannen zu rattern, aber nicht einrasteten. Sie konnte anscheinend immer noch nicht erfassen, was ich schon seit einiger Zeit vermutete und was der heutige Tag noch sicherer gemacht hatte.

 

Peter war natürlich mehr als verwundert über unseren Gebrauch von Worten, immerhin kannte er die Begriffe nicht, was Teti noch mehr hätte zeigen müssen, dass ich mehr wusste, als sie wahrscheinlich vermutete. Und dann war Teti auf einmal wie vom Erdboden verschluckt. Gerade eben hatte sie noch vor mir gestanden und dann war sie weg gewesen.

 

„Ich habe dich schon gesucht, Liebling. Du willst deine schwangere Freundin doch nicht alleine lassen, oder?“ Astrate stand auf einmal neben mir und ich hatte die Ahnung, dass Teti sie hatte kommen sehen. Wahrscheinlich war es besser, wenn Astrate uns im Moment nicht zusammen sah, auch wenn ich ihre Eifersucht nicht verstehen konnte. Ich wusste, wo mein Platz war. Aber irgendetwas in meinen Augen musste ihr verraten haben, mit wem ich gerade geredet hatte. Denn ohne einen Moment länger zu warten stürmte sie auf den Tisch zu, an dem Teti mit den Hobbits stand und gerade von einem Fotographen abgelichtet wurde. Teti sah das Gewitter nicht heranrollen, da Astrate von hinter kam, aber aus irgendeinem Grund merkte ich, dass sie die „Gefahr“ spürte.

 

Und dann zog Astrate eine Szene ab, dass es mir beinahe peinlich war, überhaupt hier zu sein. Peter hatte diese Feier organisiert, damit alle Spaß hatten, damit wir einmal von dem stressigen Dreh abschalten konnten. Und nun war es meine schwangere Freundin, die hier eine Szene machte. Ich sah Peter und auch Teti entschuldigend an, während Astrate nicht mehr aufzuhalten war. Selbst als ich versuchte, die ganze Sache zu entschärfen, beruhigte sie sich nicht. Erst als Ian uns von den anderen trennte schien sich die Lage zumindest Teti gegenüber zu beruhigen. Ich war jedoch weiterhin im Kreuzfeuer. Nichts, was ich sagte, konnte sie auch nur ansatzweise beruhigen. Dann begann sie auf einmal zu schwanken und sie musste sich am Tresen der Bar festhalten, um nicht zu fallen. Ein Teil von mir machte sich schreckliche Sorgen um sie und unser Kind, wahrscheinlich war diese Aufregung einfach zu viel gewesen. Ein anderer Teil sagte mir, dass es nicht ganz so ernst war, wie sie es vielleicht hatte aussehen lassen. Ich rief ihr dennoch ein Taxi und schickte sie damit nach Hause. Ich blieb allerdings auf der Party, denn ich hatte keine besondere Lust mir den restlichen Abend Vorwürfe anzuhören.

 

Peinlich berührt ging ich zu Viggo, der mich nur mit einem Schulterzucken ansah. Er musste nichts sagen, damit ich wusste, was er dachte, das sah ich ihm schon direkt an.

 

„Sie ist schwanger. Da drehen die Hormone schon mal durch“, versuchte ich also meine Freundin zu verteidigen, aber es war ein eher kläglicher Versuch, wusste ich doch selbst, dass sie auch schon, bevor sie schwanger geworden war, ziemlich schlecht auf Teti reagiert hatte. Als ich ihr erzählt hatte, dass ich in Queenstown Dominics Freundin kennengelernt hatte und dass sie eine Ägypterin aus ihrem Kurs war, hatte sie sofort gewusst, von wem ich sprach, und hatte mir direkt viele seltsame Dinge über Teti erzählt, die alle gar nicht stimmten. Es waren keine Dinge, die ich aktiv widerlegen konnte, aber ein Gefühl hatte mir gesagt, dass es einfach nicht stimmen konnte. Und wenn ich einer Sache in meinem Leben bisher hatte trauen können, dann war es mein Bauchgefühl.

 

Im Moment sagte mir mein Bauchgefühl, dass Astrate noch viele Probleme in meinem zukünftigen Leben bedeuten würde. Aber ich wusste auch, dass ich das Kind, das sie in sich trug, lieben würde, denn es war meins. Was da in ihr heranwuchs, und im Gegensatz zu ihr war ich mir sicher, dass es ein Junge war, würde mein kleines Wunder sein und ich würde immer dafür sorgen, dass es ihm gut ging. Und wenn das bedeutete, dass ich den Rest meines Lebens mit Astrate würde verbringen müssen, dann sollte es so sein.

 

„10, 9, 8, 7, 6“, begann Peter, der sich mittlerweile auf die Bühne gestellt hatte, die letzten Sekunden runter zu zählen. Ich fand es schade, dass Astrate nicht mehr hier war. Auch wenn sie sich unmöglich benommen hatte, hatte ich dennoch ins neue Jahr mit ihr gehen wollen, in der Hoffnung, dass es besser werden würde als das letzte.

 

„5, 4, 3, 2, 1. Frohes neues Jahr!“, stimmten wir alle mit ein und der Erste, mit dem ich anstoßen konnte, war Viggo. Er klopfte mir freundschaftlich auf den Rücken und ich wusste, dass er mir damit sagen wollte, ich solle nicht aufgeben, und er hatte Recht. Wie hieß es doch so schön: Neues Jahr, neues Glück. Irgendwie würde sich alle wieder zum Guten wenden und ich musste mich jetzt auf diesen Film konzentrieren. Das war meine Chance und wenn ich tatsächlich Vater werden würde, dann musste ich dafür sorgen, dass das Geld ins Haus kam. Und wie ging das besser als mit diesem Film? Wenn ich hier eine gute Figur machte, dann würden mich auch andere Regisseure haben wollen und dann standen mir die Türen offen.

 

„So, pünktlich zum neuen Jahr, das wir nun angemessen gefeiert haben, werde ich nun die Gewinner unseres Kostümwettbewerbes küren.“ Dass Peter nach diesen Worten sofort meinen Blick suchte, gefiel mir alles andere als gut. Dieses Grinsen, mit dem er mich ansah, war dasselbe Grinsen, das er hatte, wenn er beim Dreh wieder eine seiner wahnwitzigen Ideen preisgab, die uns Schauspieler oder die Stunties beinahe das Leben kosteten. „Ich bitte unser antikes Königspaar auf die Bühne“, sagte er dann und ich verdrehte die Augen. Das war ja klar. Nach der ganzen Schose, die heute abgelaufen war, wollte er auch noch mich und Astrate zu den Gewinnern des Wettbewerbes küren.

 

„Ich sehe bisher nur einen König.“ Ich sah Peter verwirrt an, als ich zu ihm auf die Bühne gekommen war. Er musste doch mitbekommen haben, dass Astrate … Doch bevor ich den Gedanken laut ausgesprochen hatte, war mein Kopf schon wieder weiter. Er meinte gar nicht Astrate, er meinte Teti. Deswegen dieser Blick. Wahrscheinlich wusste er, was er vielleicht damit anstellte. Ganz hinter am anderen Ende des Saales sah ich Teti. Es war ihr sichtlich unangenehm, dass sie wohl anstelle von Astrate gewonnen hatte. Wir beide wussten, dass dies bedeutete, dass wir gemeinsam ein romantisches Dinner haben würden, und wahrscheinlich würde Astrate ausrasten, wenn sie es herausfinden würde. Ich musste also etwas tun, damit sie sich nicht aufregte, damit sie sich sicher sein konnte, dass sie und das Kind meine oberste Priorität waren, und dass Teti wirklich nur eine gute Freundin war.

 

Dann kam Teti doch auf die Bühne. Wahrscheinlich hatte Dominic sie dazu gedrängt. Er war noch ein Grund, warum ich meinen Gefühlen für sie nicht nachgeben durfte. Sie hatte auch einen Partner und er war auch noch ein guter Freund und Kollege. Er liebte sie, das sah ich ihm an, und ich wollte auf keinen Fall, dass er verletzt wurde. Dann nahm ich unweigerlich Tetis Hand und hob sie direkt vor uns hoch, bis unsere ineinander verschränkten Hände parallel zum Boden waren. Es war eine Art Reflex gewesen. Wir beide standen vor einer wenn auch eher kleinen Menschenmasse und alle jubelten uns zu. Es war ein atemberaubend bekanntes Gefühl. Es fühlte sich richtig an, in diesem Moment Tetis Hand zu halten. Dann erinnerte ich mich an einen meiner Träume, den ich vor kurzem gehabt hatte. Dort hatte ich auf den Stufen eines Palastes gestanden und hatte genau diesen Gruß mit Nefertari durchgeführt, zu unseren Füßen unser begeistertes Volk. Ich hatte nicht nachgedacht, sondern einfach nur reagiert. Ich sah Tetis verwunderten Blick.

 

„Ich denke, es wäre besser, wenn du mit Astrate essen gehst“, sagte sie dann nach einem Moment, sah mich etwas bedrückt an und gab mir den Gutschein, den Peter ihr gerade gegeben hatte. Ich verstand sie nicht. Warum wollte sie nicht mit mir essen gehen? Es war doch nichts dabei.

 

„Ach, komm schon, Te! Ich werde ihr schon klar machen, dass wir nur Freunde sind. Morgen wird sie über diese Geschichte lachen können.“ Und das meinte ich ernst. Wahrscheinlich musste ich tatsächlich für uns alle eine klare Linie ziehen, auch wenn es mich mehr als schmerzte. Ich liebte Teti, hatte sie vom ersten Tag, an dem ich sie im Restaurant in Queenstown gesehen hatte, geliebt. Es hatte mich quasi rasend eifersüchtig gemacht, sie mit Dominic zu sehen, und in den darauffolgenden Wochen war ich froh gewesen, wenn ich die beiden nicht hatte zusammen sehen müssen. Aber Teti gar nicht zu sehen, war eine noch größere Qual für mich gewesen. Aber auch Astrate liebte ich. Sie hatte ein Feuer in sich, ein Feuer, das nie erlosch, und es fachte meines an. Bevor sie schwanger geworden war, waren wir wie zwei wilde Teenager gewesen, wenn wir uns gesehen hatten. Wir hatten unser Zimmer kaum verlassen. Ich liebte sie immer noch, aber etwas hatte sich geändert. Sie trug nun ein Stück von mir in sich. Ein neues Leben, und es ließ ihre Hormone verrückt spielen. Sie war launischer und eifersüchtiger geworden, doch ich konnte es ihr nicht verdenken.

 

Frauen spürten wahrscheinlich viel früher als ein Mann, wenn man nicht mehr die ungeteilte Aufmerksamkeit des anderen genoss. Sie hatten einen siebten Sinn dafür und es tat mir leid, dass sie es merkte. Aber ich konnte nichts daran ändern. Ich konnte sie nicht beide haben, das war mir klar. Immerhin waren wir nicht mehr im Alten Ägypten, wo ein einziger Mann einen ganzen Harem von Frauen haben konnte, oder zumindest der Pharao. Wir waren in der Moderne und da galt die Monogamie. Ich musste mich also für eine der beiden entscheiden, doch es war schwer, und es war viel zu einfach, die Entscheidung immer weiter nach hinten zu schieben, vor allem wenn Teti bei mir war. Es war einfacher die gemeinsame Zeit mit ihr einfach nur zu genießen und für diese kurze Zeit nicht an Astrate zu denken. Aber wahrscheinlich war die Zeit, in der ich mich nicht entscheiden musste, bald vorbei und im Moment wusste ich nicht, was ich dann tun würde. Oder ich wusste es und wusste doch, dass dies nicht die Entscheidung meines Herzens sein würde.

 

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