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Begegnungen

 

 

 

 

Gedankenverloren starrte ich von dem Balkon herunter. Gerade heute Morgen hatte mein Lehrmeister mich informiert, dass der Pharao noch in den frühen Mittagsstunden mit mir Richtung Karnak aufbrechen wollte. Ich wusste, was das bedeutete. Nach der Prüfung des Stieres, in der ich mich bewährt hatte, sollte ich nun den Göttern vorstehen und um Ihre Gnade bitten, um Ihren Segen einst selbst Pharao zu werden, wie es mein Schicksal war. In der Ferne sah ich die Berge, unter denen auch der Pharao irgendwann seinen Weg in die Ewigkeit antreten würde. Aber ich hoffte, dass es noch lange dauern würde bis dies der Fall war. Ich war noch nicht bereit seine Bürde zu übernehmen, war noch nicht bereit die Verantwortung für dieses Volk zu übernehmen.

 

„Das Schiff ist bereit abzulegen“, ertönte dann eine Stimme hinter mir. Ich drehte mich um, es war die Königin. Ich verbeugte mich kurz vor ihr, denn so gebührte es ihr. Als sie mich dann anlächelte und ihre Arme ausbreitete wusste ich, dass den Etiketten des Hofes Genüge getan wurde, und drückte mich an sie. Ich liebte sie, sie hatte mir mein Leben geschenkt und hatte mir den besten Lehrmeister zur Seite gestellt, den ich mir hatte vorstellen können. „Der Pharao erwartet dich auf seiner Sonnenbarke“, sagte sie nochmals als ich mich von ihr löste und sie ansah. Sie war mittlerweile kleiner als ich und ich erinnerte mich noch gut an die Zeit, in der ich zu ihr aufblicken musste. Damals, wie auch heute noch, hatte sie eine Eleganz und Erhabenheit ausgestrahlt, die ich bei keiner Frau je gesehen hatte, und ich verstand den Pharao, warum er sie zur höchsten Frau bei Hofe auserkoren hatte. Was ich jedoch nie verstehen würde war, warum wir immer wieder mit dem Schiff nach Karnak fuhren. Es war nicht wirklich weit von Theben entfernt und ich liebte es auf der von Sphinxen begleiteten Prachtstraße entlangzulaufen.

 

Die Königin begleitete mich noch zum Anlegesteg der Sonnenbarke, blieb dann aber stehen. Sie würde nicht mitkommen, das wusste ich, und es war ein weiterer Grund, warum ich nervös war. In ihrer Gegenwart fühlte ich mich sicher und behütet. Wenn sie in meiner Nähe war, konnte mir nichts und niemand etwas anhaben, und ich fragte mich, ob es für den Pharao dasselbe Gefühl war, wenn er ihr nahe war. Aber sicherlich war es das nicht, denn ihre Verbindung war eine andere. Eine Verbindung, die ich noch suchte und noch nicht vollkommen verstehen konnte.

 

Als die Barke ablegte, spürte ich die leichte Briese, die über meinen kahl geschorenen Kopf fuhr. Es war noch nicht lange her, dass ich meine Kindheitslocke abgelegt hatte, dass ich zum Manne ernannt worden war, aber es war immer noch ein seltsames Gefühl, sie nicht länger zu spüren. Der Nil war ruhig an diesem Tag und ich fragte mich, ob das bereits ein Zeichen der Götter war. Ein Zeichen dafür, dass sie erfreut waren, dass ich kam, um ihren Segen zu erhalten.

 

„Du wirst alleine in die Welt der Götter eintreten.“ Der Pharao blickte auf mich hinunter. Er war zwar nicht mehr viel größer als ich, aber aus Respekt stand er immer über allem, und während er auf dem goldenen Stuhl auf der Barke saß, hatte ich zu seinen Füßen Platz genommen. „Ich kann dir bei diesem Weg nicht helfen.“

 

„Was muss ich tun, oh Pharao?“, fragte ich und ich merkte, wie sich die Unsicherheit in meinem Körper ausbreitete. Was würde passieren, wenn die Götter mich nicht für würdig hielten? Was, wenn Sie mich ablehnten? Wie würde es mein weiteres Leben verändern? Sicherlich würde der Pharao sich dann einen seiner anderen Söhne als Nachfolger suchen und ich war nichts weiter als eine gescheiterte Persönlichkeit. Das war nicht das, was ich wollte. Doch wie würde ich die Götter erkennen? Wie würde ich Ihre Botschaft erkennen, um nach ihr zu handeln? Wieder sah ich den Pharao an. Er starrte ernst und standhaft auf das ruhige Wasser des Nils, das von unserem Schiff in leichte Wellen versetzt wurde. Er war sicherlich nicht so ängstlich gewesen, als er sich den Göttern hatte stellen müssen. Immerhin hatte er sogar den Namen Seth‘ angenommen und das zeugte von einer unglaublichen inneren Stärke und Verbundenheit mit der Götterwelt. Ebenso war er vor seiner Erhebung zum Pharao ein erfolgreicher und entschlossener Feldherr gewesen. Er fürchtete sich sicherlich vor nichts und niemandem.

 

„Vertraue auf dein Herz und es wird dich leiten. Wer geschlossenen Herzens den Göttern gegenübertritt, wird Sie nicht antreffen“, war sein letzter Rat für mich, bevor wir auch schon in Karnak anlegten. Als die Planke angelegt wurde und ich aufstand, gebannt von dem riesigen Tempel, der sich vor mir auftat, merkte ich, wie meine Knie leicht nachgaben. Es kam mir so vor, als seien sie nicht mehr aus demselben starken Material gemacht wie noch im Palast. Den wilden Stier hatte ich bekämpft. Er war stark gewesen, aber ich sah ihn und konnte ihn und seine Bewegungen einschätzen. Die Götter jedoch waren etwas vollkommen anderes. Ich konnte Sie weder sehen, noch konnte ich Ihre Gedanken und Wünsche erahnen. Ich konnte nur darauf hoffen, dass Sie mir wohlgesinnt waren.

 

„Ich werde mich nun in das Allerheiligste zurückziehen. Kehre erst zurück, wenn deine Aufgabe beendet ist.“ Ich nickte nur stumm und beobachtete, wie der Pharao von dem Hohepriester in Empfang genommen wurde und die Anlegestelle verließ. Unsicher tat ich den ersten Schritt in Richtung Tempel. Wenn ich jetzt zögerte, war mein Schicksal besiegelt und ich konnte gleich wieder auf der Barke Platz nehmen und am besten mit ihr auf den Grund des Nils sinken.

 

Nun wirkte der mächtige Fluss nicht mehr so ruhig, sondern eher tief und bedrohlich, und ich trat instinktiv einen Schritt weiter Richtung Tempel und weg vom Nil. Der Gedanke, in seinen Wassern zu ertrinken, war etwas, das mich antreiben konnte und ich musste diesen Antrieb nutzen, um meine Schritte in Richtung des Tempels fortzusetzen. Der Weg bis zum Eingang war lang und ich selbst noch zu unentschlossen, um vielleicht mit dem Pharao und dem Hohepriester aufzuschließen. Wahrscheinlich hätten sie mich weggeschickt, da ich den Weg alleine gehen musste, musste die Angst in mit besiegen, die Zweifel, die mir immer wieder sagten, die Götter würden mich nicht für würdig erachten. Ein Pharao mit Zweifeln war ein schlechter, ein schwacher Pharao. Vielleicht war das ein Teil meiner Lektion. Vielleicht musste ich erst den Zweifel besiegen, bevor mich die Götter in Empfang nehmen würden. Ich musste mich selbst als Ihrer würdig erkennen.

 

Der lange Weg bis zum eigentlichen Tempel war daher ein Segen. Ich konnte mich darauf vorbereiten, konnte mich selbst davon überzeugen, dass ich stark genug sein würde, dass ich es verdiente. Warum auch eigentlich nicht? Ich hatte in den letzten Jahren viel gelernt. Ich wusste, wie man Ihnen huldigte und Ihre Feste und Rituale befolgte. Ich hatte Ihre Heilige Schrift erlernt und gelernt, Ihre Texte zu interpretieren und einige von ihnen zu deuten. Ich hatte meinen Mut bei dem Kampf mit dem Stier bewiesen, hatte dieses wilde Wesen bezwungen. Ich war zu Vernunft und Geduld erzogen worden und hatte dies schon oft unter Beweis gestellt.

 

Ich merkte, wie sich mein Atem beruhigte, auch wenn er noch nicht ganz entspannt war, aber es half mich selbst davon zu überzeugen, dass ich es wert war, zumindest von den Göttern bewertet zu werden. Egal, wie Ihre Entscheidung ausfallen würde, es wäre die richtige. Niemand außer Ihnen wusste, was für Ägypten und sein Volk das Beste war. Wenn ich es sein würde, dann würde es so sein, und wenn nicht, dann auch. Sie würden sich jemand anderen aussuchen und ich würde mein Leben weiterleben. Ich würde sicherlich bei Hofe bleiben, auch wenn ich eine niedrige Stellung erhalten würde. Vielleicht ein Wesir oder ähnliches, aber was auch immer geschah, ich hatte darauf nun keinen Einfluss mehr. Wahrscheinlich hatte ich nie einen Einfluss auf mein Schicksal gehabt und alles hatte genauso geschehen müssen, wie es war.

 

Entschlossen trat ich nun durch das große Tor ins Innere der Tempelanlage und wieder traf mich die Ehrfurcht vor dem, was hier im Namen der Götter gebaut worden war.

 

In weiter Entfernung konnte ich leises Sprechen hören. Sicherlich war das die Priesterschaft, die sich für den abendlichen Opferumlauf vorbereitete, aber ich würde nicht zu ihnen gehen. Sie würden mir nicht helfen können, sie standen bereits im Einklang mit den Göttern und die meisten hatten Ihnen schon eine lange Zeit gedient. Ich musste meinen Weg alleine finden, ganz alleine. Ich ging also genau in die entgegengesetzte Richtung als die, aus der die Stimmen kamen. Die Sonne begann schon langsam ihren Weg zurück, um von Apophis verschlungen und am nächsten Tag neu geboren zu werden. Ich musste meinen Weg gefunden haben, bis sie gänzlich verschwunden war, denn in der Nacht wollte der Pharao nach Theben zurückkehren. Und Morgen würden wir wieder auf dem Weg nach Memphis sein.

 

Ich ging vorbei am großen Tempel des Amun, wissend, dass sich dort die Priesterschaft auf das Ende der täglichen Rituale vorbereitete, und ging unter den im leichten Wind raschelnden Sykomoren die Promenade des Heiligen Sees entlang. Ich kannte die Tradition dieser Seen. Sie dienten nicht nur zur Reinigung der Priester bevor sie morgens die Tempel betraten, sondern sie symbolisierten auch die Geburt und den Sieg des jeweilig gepriesenen Gottes über seine Feinde. In dem Falle des Heiligen Sees von Karnak, der, wie ich wusste, der größte der Heiligen Seen war, diente er Amun. Ich überlegte einen Moment. Wenn dieser See dessen Wiedergeburt spiegelte, sollte ich vielleicht dann als Zeichen dafür, dass ich eine Wiedergeburt Amuns war, darin baden? War es erlaubt zu so später Stunde noch in den See zu treten oder würde ich Amun vielleicht damit entehren? Ich war mir nicht sicher, aber ich wusste, eine zweite Chance würde sich mir nicht bieten.

 

Ich streifte mein leichtes Wams ab und trug nur noch meinen Lendenschurz. Es war mir nicht unangenehm, mich so zu zeigen. Einerseits war niemand außer mir hier zu sehen, andererseits hatte ich durch mein Kampftraining eine ansehnliche Figur erhalten, derer ich mich nicht schämen musste. Langsam und vorsichtig trat ich die Stufen zum Wasser hinab, immer darauf bedacht, jedes Zeichen richtig zu deuten, wenn es auftauchen würde. Ein Teil von mir erwartete schon, dass das Wasser bald durch Amuns Zorn zu brodeln begann, aber es passierte nichts. Sicherlich war das ein positives Zeichen. Als meine Füße das Wasser berührten, verharrte ich einen Moment in der Stellung. Was, wenn plötzlich Krokodile in dem Wasser waren?

 

Aber das war nur meine Angst, die mir einen Streich spielte. Warum sollte in einem See, in dem sich die Priester wuschen, Krokodile sein? Langsam trat ich Schritt für Schritt weiter in das Wasser ein. Es war kühler als ich gedacht hatte, aber wahrscheinlich lag das eher an meinem durch die Sonne erhitzten Körper. Je weiter ich in das Wasser trat, desto angenehmer und befreiender fühlte es sich auf meiner Haut an. Es befreite mich vom Schmutz des Tages und umarmte mich wie ein alter Freund. Dennoch war ich froh, dass mein Lehrmeister mir bereits vor einigen Jahren beigebracht hatte, mich über Wasser zu halten, denn das Wasser wurde immer tiefer, je weiter ich mich von den Stufen entfernte.

 

Dann packte mich der Wunsch meinen Körper vollkommen dem Wasser zu übergeben und ich ließ mich für einen Moment in dessen Tiefe reißen. Ich hielt die Luft an, wusste, dass der Drang zu atmen meinen Tod bedeuten würde, aber dennoch tauchte ich nicht auf. Ich blieb unter Wasser und mein Geist bekämpfte den Drang nach Luft zu schnappen, den mein Körper so sehr hatte. Dann schoss auf einmal etwas an mir vorbei an die Oberfläche und die kleinen Luftblasen nahmen mir die Sicht in dem klaren Wasser. Erschrocken tauchte ich auf und sah, dass eine einzelne Gans vom See aus in die Lüfte gestiegen war. Ich sah ihr einen Moment hinterher, wie sie über die Pylonen Richtung des Grabs Osiris‘ flog und dann zwei Kreise in der Luft zog, um sich dann anscheinend irgendwo dort niederzulassen.

 

„Wenn das kein Zeichen der Götter ist“, murmelte ich und schwamm langsam wieder zu den Stufen des Sees. Die Gans, vor allem die Gänse, die hier durch einen kleinen Tunnel in den See gelangten, galten als Sinnbild Amuns. Und wenn ich dieses Zeichen richtig deutete, musste ich dem Weg dieser Gans folgen, bis ich sie wiederfand.

 

Ich machte mir nicht die Mühe meinen Körper zu trocknen, noch war die Luft warm genug, damit er selbst innerhalb kürzester Zeit trocknen würde, dessen war ich mir sicher. Ich ließ mein Wams also einfach an der Stelle liegen, an der ich es abgelegt hatte, und ging unbeirrt in die Richtung, die mir der Vogel gewiesen hatte. Ich durfte nun nicht mehr zögern, ich musste entschlossen sein und meinen Weg gehen. Ich blickte einen Moment in den Himmel und hoffte auf ein weiteres Zeichen, das mir bestätigen würde, dass ich den richtigen Weg einschlug, aber die Götter waren nicht freigiebig mit Ihren Zeichen, dessen war ich mir durchaus bewusst.

 

Ich nahm den kürzesten Weg, um zu der mir gewiesenen Stelle zu gelangen, mitten durch einen der Säulengänge. Ich war mehr als überwältigt von diesen hohen, starren Säulen aus Stein, fragte mich, wie man so etwas Wunderbares erschaffen konnte, und war versucht, in meiner Bewegung innezuhalten, um dieses Wunder in mich aufzunehmen, aber ich schaffte es mich zur Ordnung zu rufen. Mich daran zu erinnern, was alles auf dem Spiel stand.

 

Also ging ich weiter und dann sah ich Sie. Nicht die Gans, der ich gefolgt war, sondern die Göttin. Sie stand genau an der Stelle, wo ich eigentlich die Gans erwartet hatte. Sie hatte den Rücken zu mir gedreht, aber der goldene Schein Ihrer Haut, die von den letzten Sonnenstrahlen berührt wurde, konnte nichts anderes bedeuten, als dass Sie eine Göttin war. Sie trug ein weißes Linnengewand und um Ihre schmale Taille war ein goldener Gürtel gebunden. Als ich näher kam sah ich, dass Ihre Haut glatt wie Marmor war, kein Makel unterbrach das Bild unglaublicher Schönheit. Ihre Haare waren schwarz und glänzend wie ein Onyx und mit nichts vergleichbar, was ich zuvor bei einer Frau gesehen hatte. Die meisten der Frauen bei Hofe trugen Perücken, um ihr eher welliges Haar zu verdecken, aber ich sah sofort, dass Sie keine Perücke trug. Das Haar saß zu natürlich an Ihrem Körper, um nicht zu Ihr zu gehören.

 

Ich trat einen weiteren Schritt an Sie heran. Wenn Sie die Erscheinung einer Göttin war, musste ich Ihr mit Respekt und Achtung gegenübertreten, musste ehrerbietig sein. Doch Sie schien meine Anwesenheit nicht zu spüren, oder es war Ihr egal, denn Sie bewegte sich nicht, sondern sprach eher weiter zu der Scheintür, die ich nun vor Ihr erkennen konnte. Der wohlige Geruch von Weihrauch stieg mir in die Nase und schien mich beinahe zu betören. Mein Puls stieg an und ich merkte, wie mein Atem schwerer und schneller wurde.

 

Vorsichtig und in einem Anflug jugendlichen Leichtsinns legte ich Ihr meine Hand auf den entblößten Arm. Erst, als ich Ihre warme und glatte Haut unter meinen Fingern spürte, merkte ich, was ich getan hatte. Erschrocken wollte ich meine Hand schon zurückziehen, aber ich durfte nun keine Schwäche zeigen. Ich hatte diese Entscheidung getroffen und nun musste ich mit den Konsequenzen rechnen.

 

Ich fürchtete schon den Zorn dieser Göttin nun auf mich gelenkt zu haben, da ich merkte, wie Ihre Muskeln sich für den Bruchteil einer Sekunde anspannten. Doch dann entspannten sie sich wieder und eine wohlige Wärme durchfuhr auf einmal meinem Körper. Für einen kurzen Moment, als Sie sich umdrehte, ich Ihr Gesicht jedoch noch nicht sehen konnte, zog ein süßlicher, lieblicher Duft in meine Nase, der von Ihren Haaren auszugehen schien. Anscheinend hatte Sie sich mit einem wohlduftenden Öl eingerieben.

 

Als ich dann Ihr Gesicht erblickte, stocke ich einen Moment. Sie hatte ihre Augen geschlossen, so als sammelte Sie Ihre Kraft für das, was Sie nun sehen würde. Oder wollte Sie mich vielleicht nicht sehen, weil Sie wusste, ich war Ihrer nicht würdig? Ihr Gesicht war wunderschön. Die weiche Form Ihrer Wangen, der sanfte Schwung Ihrer Lippen und die kleine Nase bildeten eine Einheit von unglaublicher, atemberaubender Schönheit. Ich wollte gerade dem Drang nachgeben, dieses makellose Gesicht zu berühren um mich zu versichern, dass ich nicht träumte, als ein Luftzug genau durch mich hindurch zu ziehen schien, einmal in jede Richtung, und als ich auf die junge Frau vor mir sah, bemerkte ich, dass Sie ihre Augen nun geöffnet hatte und einen Moment erstaunt an sich hinabsah. Auch Sie musste das gespürt haben. Ich blickte Ihr in die tiefbraunen Augen. Sie waren nicht übernatürlich, das konnte ich nun, da das Sonnenlicht einen anderen Winkel eingeschlagen hatte, erkennen, aber sie war sicherlich nicht weit davon entfernt.

 

In ihren Augen sah ich so viele Dinge gleichzeitig: Leid, Verderben, Schmerz, Kampf, Tod, aber auch Hoffnung, Sieg, Freude, Glück und zu meiner großen Verwunderung und Freude auch Liebe. Sie war noch nicht stark, aber ich konnte sie erkennen. Ich erinnerte mich an etwas, das der Pharao mir einmal gesagt hatte, als ich ihn gefragt hatte, was ihn und die Königin verband.

 

„Ein König, mein Sohn, ist nichts ohne die Frau an seiner Seite, die seine Geschicke lenkt. Ein König ohne Königin ist wie ein Mensch ohne Seele. Ohne eine Königin kann die Einheit, die uns bereits Amun und Mut lehrten, nicht bestehen. Ohne sie werden die Götter entzweit und das ägyptische Reicht zerstört.“

 

Ohne einen Zweifel wusste ich auf einmal, was das Zeichen der Götter war. Ohne diese Frau, die ich vor einigen Augenblicken selbst für eine Göttin gehalten hatte, ohne sie an meiner Seite wäre ich nicht fähig, Ägypten in eine glorreiche Zeit zu führen. Ohne sie wäre ich verloren. Ich merkte, wie ihr Blick bewundernd an mir hinab glitt und wie sich Stolz in meiner Brust breit machte für meinen Körper. Wenn er dieser Frau gefiel, - und egal, was andere sagten, sie würde für immer dar meine Göttin bleiben - dann war es die täglichen Qualen im Training wert gewesen.

 

Dann fiel sie auf einmal vor mir auf die Knie und ich wusste genau, was sie gesehen hatte: den Gürtel, der meinen Schurz an meinem Körper hielt. Auf ihm war das Wappen der königlichen Familie. Es versetzte mir beinahe ein Stich in meinem Herz, sie vor mir knien zu sehen. Sie sollte vor niemandem niederknien müssen, niemand sollte über ihr stehen, und da ich ihr ansah, dass ich sie nicht einfach so zum Aufstehen bewegen könne würde, kniete ich mich selbst neben sie. Sie blickte starr auf den Boden und ich fragte mich, ob sie in diesem Moment fürchtete, ich würde ihr ihren forschenden Blick übel nehmen, sie vielleicht dafür bestrafen.

 

Vorsichtig berührte ich ihr Kinn mit meiner Hand und drückte es sanft höher, sodass sie mich endlich wieder ansah. Als ihr Blick sich von mir gelöst hatte, war es mir vorgekommen, als hätte jemand in einer dunklen Nacht das Himmelslicht ausgelöscht. Es fühlte sich einsam und leer an. Aber jetzt, wo sie mich wieder ansah, war es wieder erstrahlt. Ich sah sie leichte Furcht in ihren Augen und es bereitete mir beinahe körperlichen Schmerz darüber nachzudenken, dass sie sich vielleicht vor mir fürchtete.

 

„Eine schöne Frau, wie Ihr es seid, sollte nicht niederknien“, sagte ich, stand auf und reichte ihr dann meine Hand um ihr aufzuhelfen. Ich lächelte sie warm an, um ihr zu zeigen, dass von mir sicherlich keiner Gefahr ausging. Nicht für sie.

 

„Meine Anmaßung tut mir leid“, sagte sie scheu und blickte wieder zu Boden. Sie war wirklich zu Demut erzogen worden, das konnte ich sofort erkennen. Jetzt begutachtete ich auch sie noch genau und erkannte, dass sie das Gewand einer Amun-Priesterin trug. Ihre entblößten Brüste ließen erkennen, dass sie so jung war, wie ihr Gesicht es erahnen ließ, denn die waren der Kraft der Erde noch nicht so erlegen, wie die der älteren Priesterinnen. Sie konnte höchstens ein paar Jahre jünger sein als ich. Ich musste mich stark konzentrieren, um meinen Blick von ihren Brüsten wieder auf ihr Gesicht zu lenken, so prall und gutgeformt waren sie.

 

Dann nahm ich ihre Hand in meine und hauchte einen leichten Kuss darauf. „Seht mir in die Augen und nennt mir Euren Namen, Priesterin“, sagte ich und versuchte dabei bestimmend zu klingen, wie es vom Kronprinzen verlangt wurde, doch ich selbst wusste, dass es ein eher kläglicher Versuch war. Ich sah, wie sie mit sich rang und ein kleines, schwaches Lächeln ihre Lippen umspielte, bevor sie dann endlich den Blick auf mich richten konnte. Sofort zog mich ihr Blick an wie das Licht eine Motte und ich sah, dass es ihr nicht anders ging. Sie erzitterte sogar leicht, das spürte ich an ihrer Hand, die ich immer noch in der meinen hielt.

 

„Mein Name lautet Nefertari Meri-en-Mut, Eure Hoheit“, sagte sie dann zögerlich und ich wunderte mich direkt über ihren Namen. Bei einer Priesterin hätte ich einen einfachen Namen wie Iset oder Chefre erwartet, aber nicht so einen prachtvollen Namen, der von einer Göttin zeugte. Und wieder traf mich die Erkenntnis. Meri-en-Mut - Meri-Amun. Mut und Amun, die Einheit der Götter. Mehr als dieses Zeichen brauchte ich nicht mehr. Welch ein Zufall musste es sein, dass ich gerade sie kennen gelernt hatte? Welch ein Zufall, dass es so kurz vor dem Opet-Fest, der heiligen Vermählung zwischen Amun und Mut, geschehen war?

 

Irgendetwas sagte mir, dass auch sie diese Erkenntnis getroffen hatte, denn die Angst in ihren Augen war verschwunden und einer Sicherheit gewichen. Noch einmal hauchte ich einen Kuss auf ihre Hand und sie lächelte mich an und entblößte damit ihre weißen Zähne. Noch bevor ich ihr sagen konnte, wie sehr sie mich verzauberte, rief jedoch jemand ihren Namen und es klang alles andere als freundlich.

 

„Bitte geht nicht! Ich nehme Euch noch heute mit nach Memphis“, flehte ich sie beinahe an, doch sie schüttelte nur ihren Kopf. Ich sah in ihren Augen, dass sie nicht gehen wollte, sie sich aber ihrer Pflicht als Priesterin bewusst war. Die Rituale würden ohne sie an diesem Tag nicht beendet werden können. Langsam ließ ich ihre Hand los und sah, wie sie ohne einen weiteren Blick zum Tempel verschwand. Aber bevor sie aus meinem Blickfeld verschwand versprach ich ihr noch in wenigen Wochen beim Opet-Fest zurückzukehren. Dann würde ich sie mit mir nehmen und nichts würde mich davon abhalten können, denn es war der Wille der Götter.

 

 

Das penetrante Klingeln meiner Haustüre riss mich unsanft aus meinem Schlaf. Mit halb geöffneten Augen sah ich auf die Uhr neben meinem Bett. Es war fünf Uhr in der Frühe. Wer auch immer mich störte hatte wirklich Nerven, mich um diese Uhrzeit zu wecken. Und dann auf einmal, wie ein Schlag auf meinen Kopf, traf mich die Erkenntnis, wo ich eigentlich war. Ich war hellwach, das Adrenalin schoss durch meine Adern und ich sprang augenblicklich aus dem Bett.

 

„Ich bin gleich soweit!“, rief ich durch das halb offene Fenster des Badezimmers im Wissen, dass mein nerviger Besucher es hören und mit dem Sturmklingeln aufhören würde.

 

„Man, Orli, wir hatten halb fünf gesagt, bei mir!“, ertönte eine etwas genervte Stimme, als ich mir schnell meine Jeans überstreifte und mir während dem Zähneputzen das Hemd versuchte zuzuknöpfen. Ich konnte ihn ja verstehen, immer wieder war ich zu spät. Nicht viel zu spät, aber das hatten wir nur der Tatsache zu verdanken, dass Sean mir immer eine halbe Stunde einräumte, die ich zu spät kommen konnte. In den letzten 4 Monaten hatte er mich schon gut genug kennen gelernt um zu wissen, dass ich recht schlecht aus dem Bett kam. Aber dass es meistens an beängstigend real wirkenden Träumen lag, das wusste er nicht, das wusste keiner.

 

„Ich weiß, Sean, es tut mir leid“, sagte ich, als ich hinaus in die kühle Morgenluft Neuseelands trat.

 

„Wenigstens hast du dich beeilt“, murmelte der selbst noch nicht ganz fitte Sean mir zu und wir machten uns auf dem Weg zum Taxi, das uns zum Flughafen bringen würde. Heute würden wir für einige Wochen nach Queenstown auf der Süd-Insel fliegen, um dort einige Szenen zu drehen, und ich freute mich darauf. Natürlich, es bedeutete, dass ich meine wunderhübsche Freundin einige Tage nicht sehen konnte, aber wir hatten uns damit arrangiert und ich war froh, dass sie mir keine große Szene machte. Immerhin hatte sie mich so kennen gelernt.

 

Ich war froh, dass sie gestern Abend nach ihrem Besuch noch nach Hause gefahren war, sonst hätte Sean sie vielleicht noch geweckt und das wollte ich nun wirklich nicht. Sie hatte genug um die Ohren mit ihrem Studium und dem Job als Verkäuferin bei Prada.

 

„Und Astrate kommt nicht mit?“, fragte Sean mich als das Taxi losgefahren war und ich war erstaunt beinahe eine Hoffnung in dieser Frage klingen zu hören. Ich wusste ja, dass Astrate nicht wirklich einfach war und dass sie manchmal ganz schön zickig sein konnte, aber ich hatte nicht gedacht, dass meine Freunde vielleicht wirklich genervt von ihr sein könnten. Aber damit durfte ich mich nicht weiter beschäftigen. Ich kam mit ihr klar und das war das Wichtigste.

 

„Nein, sie muss arbeiten. Sie hat gerade Semesterferien und da wollte sie sich besonders ins Zeug legen. Ich denke mal, sie will nach dem Studium auch dort arbeiten. Nur halt in einer anderen Position“, erklärte ich Sean und er sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Okay, was ist los Sean? Was klingt so komisch daran?“

 

„Na ja …“, begann er seinen Satz und ich sah ihn erwartungsvoll an. Vielleicht würde er mir ja sagen, was alle so an meiner Freundin störte. Doch bevor er etwas sagen konnte waren wir auch schon am Flughafen angekommen und mussten uns beeilen, um noch den Flieger zu bekommen. Als ich mich in meinen Sitz gesetzt hatte, - hier saß ich neben Viggo - musste ich wieder an meinen Traum denken, den ich in der Nacht gehabt hatte. Ich hatte nun schon seit einiger Zeit diese äußerst realen und seltsamen Träume. Ich war noch nie in Ägypten gewesen, noch hatte ich mich jemals wirklich damit befasst, vor allem nicht so sehr, dass ich so detailliert davon träumen konnte.

 

„Meinst du, man kann Dinge kennen, die man nicht kennt?“, fragte ich Viggo dann nach einiger Zeit und ich wunderte mich, dass er mich nicht vollkommen verwirrt ansah. Ich hatte ja selbst nicht verstanden, was ich ihn da eben gefragt hatte. „Ich meine … meinst du, man kann nur mit Fantasie an einem Ort sein, den man eigentlich noch nie besucht hat?“ Ich konnte einfach nicht richtig erklären, was ich sagen wollte. Wie sollte er mir da eine gute Antwort geben können?

 

„Ich glaube, dass man manche Orte kennen kann, obwohl man sie noch nie gesehen hat. Nicht in diesem Leben jedenfalls“, antwortete Viggo auf einmal und sah mich an. Dieser Mann war wirklich einmalig. Ich war mir sicher, wenn ich schwul gewesen wäre, ich hätte mich sofort in ihn verliebt, so geheimnisvoll war er. Er war ein Künstler, jemand, zu dem ich regelrecht aufblicken konnte, was die Karriere und die Persönlichkeit anging.

 

Ich wusste, dieser Film würde mein restliches Leben wahrscheinlich immens beeinflussen. Immerhin war ich vor wenigen Monaten noch in der Schauspielschule gewesen und nun war ich mitten in einem Mammutprojekt, das wahrscheinlich in die Filmgeschichte eingehen würde. Da war es nicht schlecht, sich ein Beispiel an einem auf dem Boden gebliebenen Profi zu machen, auch wenn es davon hier einige gab.

 

Das Komische war, dass hier wirklich alle auf dem Boden geblieben waren. Egal, ob es nun Elijah, der Star aus Kindertagen, oder Ian, der große Shakespeare-Darsteller, war. Ich hatte ihn schon einige Male in England gesehen und neben Patrick Steward war er wirklich der beste Shakespeare-Darsteller, den ich kannte.

 

„Warum fragst du, Orlando?“, holte mich Viggo aus meinen Gedanken und ich überlegte einen Moment, was ich ihn überhaupt gefragt hatte. Dann fiel es mir wieder ein und ich winkte nur ab. Es war wirklich nicht wichtig, es war alles andere als wichtig. Vor allem, weil ich von dieser wunderschönen Ägypterin geträumt hatte, die eindeutig nicht meine Freundin gewesen war. Anscheinend hatte ich ein Fable für diesen Typ Frau. Oder hatte ich Astrate attraktiv gefunden, weil ich tief in mir drin irgendwo im Unterbewusstsein eine Verbindung zu diesem Land hatte, die ich nicht kannte?

 

Ich musste unweigerlich auflachen. So ein Einfall konnte auch nur meinem kranken und völlig wahnsinnigen Kopf entspringen. Wahrscheinlich nahm ich gleich noch an, dass mich Außerirdische entführt und mir diese unbekannten Erinnerungen eingepflanzt hatten. Ich sah den verwirrten Blick von Viggo neben mir und sah ihn nur kopfschüttelnd aber immer noch lächelnd an und erzählte ihm, dass ich mir gerade selbst einen Witz erzählt hatte. Das half meistens die Neugierde der anderen zu bändigen, denn ich war nicht gerade der Lustigste von uns. Meistens konnten nur sehr wenige über meine Späße lachen, warum, wusste ich nicht.

 

„Wir wollten morgen Abend essen gehen. Kommst du mit?“, fragte mich Viggo dann, um anscheinend das Thema zu wechseln, und ich nickte nur immer noch lächelnd. Ich konnte diese Frau und die Gefühle, die ich in meinem Traum für sie gehabt hatte, einfach nicht aus meinem Kopf bekommen. Ich liebte Astrate, dessen war ich mir sicher, doch diese Frau … Noch nie hatte ich jemanden so sehr geliebt und es fühlte sich immer noch so real an. So als sei das alles gar kein Traum, sondern eine Erinnerung, die lange in mir verborgen gewesen war und nun ausbrach. Aber warum jetzt? Warum wurde ich, seit ich hier in Neuseeland angekommen war, von diesen Träumen verfolgt? Es gab kein Ereignis, das diese Träume ausgelöst haben könnte, es sei denn … Astrate … Aber nein, ich hatte die Träume schon gehabt, als ich sie noch nicht kennen gelernt hatte. Es gab einfach keine Erklärung dafür.

 

„Ja, ich bin dabei“, murmelte ich immer noch gedankenverloren als Viggo mich noch einmal fragte, bevor wir den Flieger wieder verließen und in unser Hotel gebracht wurden. In meinem Zimmer angekommen legte ich mich flach auf das King Size-Bett und atmete tief durch. Ich erinnerte mich auch an den allerersten Traum, den ich gehabt hatte. Doch Nefertari war darin nicht vorgekommen. Es war eine andere Frau gewesen. Sie war ebenfalls schön, doch auf eine andere Weise. Nefertari hatte mein Herz angesprochen, diese Frau - ich glaubte mich an den Namen Isisnofret zu erinnern - sprach eher die Gegend zwischen meinen Beinen an. Ich hatte meine wilde Leidenschaft nicht von ihr abwenden können. Es erinnerte mich etwas an das Verlangen, das ich Astrate gegenüber spürte. Jeden Augenblick, den ich sie ansah, durchfuhr mich die Begierde nach ihr. Der Wunsch, mit ihr auf ein Zimmer zu verschwinden und nicht mehr herauszukommen.

 

Dieser Wunsch war mit daran Schuld, dass ich oft genug bereits zu spät zu Verabredungen gekommen war, und sicherlich war das auch der Grund, warum meine Freunde sich freuten, dass Astrate dieses Mal nicht bei unseren Dreharbeiten außerhalb von Wellington dabei sein würde. Sie konnten ja nicht wissen, dass es eher meine Schuld als ihre war.

 

Der erste Drehtag in Queenstown verlief eher ruhig und ohne große Patzer. Es war eine eher einfache Szene für den zweiten Film, in der wir mit einigen Rohan-Flüchtlingen Richtung Helms Klamm ritten. Aber so schwer es auch zuzugeben war, es tat auch mal gut, Astrate nicht immer bei mir zu haben. Wenn sie am Set war, dann war ich immer fürchterlich angespannt und abgelenkt. Wenn sie nicht hier war, dann war ich freier, wenn ich auch abends ihre Nähe vermisste.

 

„Wo sind eigentlich die Hobbits?“, fragte ich erstaunt, als wir ich zusammen am Abend mit John und Viggo ins Restaurant kam und keiner der vier Hobbits anwesend war. Normalerweise waren die Vier, wenn es ums Essen ging, ihren Rollen getreu die Ersten, die an Ort und Stelle waren.

 

„Sie haben einen späteren Flieger genommen, aber sie müssten gleich kommen. Wir können uns ja schon einmal etwas zu trinken bestellen“, schlug Viggo vor und rief die Kellnerin zu uns herüber. Sie nahm unsere Getränkewünsche auf und ich unterhielt mich etwas mit Ian über unsere Erfahrungen im englischen Theater. Natürlich, für mich war es etwas anmaßend über Erfahrung zu sprechen, so oft war ich nun auch nicht auf der Bühne gestanden. Zumindest nicht im Vergleich zu Ian, der schon vor meiner Geburt ein gefeierter Darsteller der Royal Shakespear Society gewesen war.

 

„Meint ihr, Elijah hat Maria auch eingeladen?“, fragte dann John interessiert in die Runde. Man erwartete es vielleicht nicht von diesem Mann, aber er war das schlimmste Waschweib, das es bei unseren Dreharbeiten gab. Er wusste alles und wollte auch alles erfahren.

 

„Na ja … es ist ja kaum zu übersehen, wie die beiden sich Tag für Tag anschmachten … Also ich würde sagen, ja, er hat sie auch eingeladen. Oh! Und Dom bringt seine Freundin mit!“, antwortete Miranda ihm und lachte leicht. Sie mochte es, den sonst eher grimmigen Zwerg mit Informationen zu versorgen, denn man hatte immer etwas zu lachen, wenn John den neusten Klatsch und Tratsch verbreitete.

 

Aber die beiden hörten sofort auf zu tratschen, als auch schon Elijah und die anderen in das Restaurant kamen. Das einzige, was mich wunderte, war jedoch, dass Miranda Doms Freundin angekündigt hatte, sie aber anscheinend nicht dabei war. Nur Maria kam mit den Vieren herein. Aber meine umgestellte Frage wurde direkt beantwortet, denn ich war nicht der einzige, der sie stellte. Sie war wohl noch zu Hause gewesen und würde bald mit Christine, Seans Frau, nachkommen. Ich war wirklich gespannt, wusste ich doch von Dom, dass auch seine Freundin eine Ägypterin war, zumindest teilweise. Vielleicht kannte sie Astrate ja sogar, immerhin gab es ja nicht viele Ägypter in Wellington. Zumindest hatte ich noch keine gesehen.

 

„Entschuldigen Sie, Sirr“, hörte ich eine leise, weiche Stimme am Eingang. Ich sah in die Richtung, sah aber nur Ian, der mit dem Rücken zu mir gedreht stand und mit jemandem zu reden schien.

 

„Ah, da ist sie ja!“, schrie dann auf einmal Dom und ich wusste, es musste wohl seine Freundin sein die er meinte, denn ich sah das Strahlen in seinen Augen. Er stand sofort auf uns ging zu ihr hinüber, doch sie reagierte nicht auf sein Rufen. Sie stand da, starr mit ihren Augen auf einen Person gerichtet: mich.

 

Als Ian sich nach Doms Ruf leicht gedreht hatte, hatte er mir den Blick auf sie freigegeben und sie hatte gerade in meine Richtung gesehen. Ich hatte unbemerkt meinen Atem angehalten, hatte vergessen, wie man die Lunge dazu brachte Luft einzuziehen, als ich in ihre tiefbraunen Augen gesehen hatte. Ich wusste nicht wieso, aber sie riefen in mir ein Gefühl tiefer Vertraut- und Verbundenheit hervor, so als ob ich diese wirklich hübsche junge Frau schon mein Leben lang kannte. Ich fühlte mich wie ein Demenzkranker, der jemanden ansieht, tief in sich drin weiß, er sollte diese Person kennen, aber sie mit nichts und niemandem in Verbindung bringen kann.

 

Es kam mit so vor, als hätte ich sie schon einmal gesehen, als wüsste ich genau, wer sie war, was sie ausmachte. Dass sie dabei auch noch wunderschön war, machte die Sache nicht einfacher. Ihre ganze Statur war sanft und eher zierlich. Ihr Gesicht einzigartig und unvergleichbar hübsch. Ihre Augen strahlten eine Wärme aus, die ich nicht zu beschreiben vermochte. Sie löste in mir ein Verlangen aus, das mich selbst erschreckte. Immerhin hatte ich ja Astrate. Aber das Verlangen, das ich für Astrate verspürte, war ein anderes. So Primitiv wie es sie anhörte: mein Verlangen Astrate gegenüber war beinahe nur sexueller Natur. Das Verlangen gegenüber der Frau, die dort neben Ian stand und mich so anstarrte, war eher ein spirituelles und psychisches Verlangen als ein physisches.

 

Ich hatte das Gefühl, sie würde mich zu dem Mann machen können, der ich schon immer hatte sein wollen, und sie weckte in mir den Wunsch sie festzuhalten und sie vor allem zu beschützen, was ihr gefährlich werden konnte. Und irgendetwas sagte mir, dass, wenn ich genau in diesem Moment aufgestanden wäre und sie mit mir gerissen hätte, sie willentlich mitgekommen wäre. Aber ich konnte mich dazu bewegen es nicht zu tun, sondern einfach sitzen zu bleiben

 

Ich konnte daher nicht anders als sie weiterhin anzustarren. Ich war mir sicher, die anderen, und vor allem Dominic, mussten uns schon erstaunt ansehen, aber ich konnte nichts dagegen tun. Und ich hatte das komische Gefühl zu wissen, dass es ihr nicht anders ging. Irgendwie schien ich genau zu erahnen, was sie gerade dachte, genau in diesem Moment. Ich schien zu wissen, dass sie genauso fühlte wie ich, und dass es sie genauso verwirrte.

 

Es ließ mich beinahe etwas unruhig werden, denn es war ein seltsames Gefühl. Es wurde so unangenehm, dass ich schnell wieder in die andere Richtung sah und begann mich mit Viggo zu unterhalten.

 

Dies alles, das Ansehen und Wegsehen, hatte nicht länger als einen Augenblick gedauert. Und doch war es für mich beinahe eine Ewigkeit gewesen und ich wusste nicht damit umzugehen. Dann stellte er uns gegenseitig vor, aber ich hörte nicht wirklich zu, wen Dom alles aufzählte. Ich ließ mir nur immer wieder ihren Namen durch den Kopf gehen. Teti … Irgendwo hatte ich diesen Namen schon einmal gehört, aber es wollte mir nicht einfallen. Was mich aber mehr irritierte war die Tatsache, dass ein Teil von mir dachte, dass der Name gar nicht zu ihr passte. Es war ein anderer Name, der in meinem Kopf herumspukte. Doch das war alles andere als möglich: Nefertari.

 

 

 

 

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