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Schnipseljagd

 

 

 

 

„Schatz, ich bin wieder zu Hause!”, schrie ich, als ich den Schlüssel unserer Haustüre im Schloss gedreht und sie leicht geöffnet hatte. Ich konnte meine Freude, zu Hause zu sein, nicht verbergen, konnte es kaum erwarten, Teti von dem wunderbaren Tag zu erzählen, den ich heute gehabt hatte. Ich wollte ihre Reaktion sehen wenn ich ihr von dem wunderbaren Angebot erzählte, das ich heute per Telefon bekommen hatte. Ich war mir sicher, sie würde vor Freude mehr als platzen.

 

Während ich meine Jacke auszog und sie wie gewohnt an die Garderobe hing, wunderte ich mich bereits, dass ich nicht einen Mucks von Teti hören konnte. Normalerweise war sie um diese Zeit immer in der Küche und bereitete das Essen für uns alle vor. Ich wollte schon zur Küche gehen um mich zu versichern, dass alles in Ordnung war, als mir ein kleiner Zettel auf dem Boden auffiel.

 

Ich hob ihn hoch und entfaltete ihn. Es war unverwechselbar die Handschrift von Teti. Sie hatte diese außergewöhnliche Ordnung und Geradlinigkeit, wie ich es nur von ihr kannte. Einen kleinen Moment hielt ich inne und überlegte, was sie wohl vorhatte. Wir hatten den Abend für uns. Viggo war gerade wegen einem Film in unserer Gegend und hatte darauf bestanden Seth und Maria für den Abend zu sich zu nehmen. Er liebte die beiden Kinder, seine Patentochter ganz besonders.

 

Den Gedanken aus meinem Kopf schüttelnd richtete ich meine Aufmerksamkeit wieder auf das Stück Papier in meinen Händen und ein Kribbeln stieg in mir auf, das ich nur von den ersten Monaten mit Teti kannte. Es war nicht so, dass ich sie weniger liebte, aber die anfängliche Aufregung war vergangen und das alltägliche Leben hatte sich schon vor einigen Jahren eingeschlichen, vor allem, wenn man zwei Kinder um sich hatte. Nachdem Maria letztes Jahr geboren wurde,

 

 

Ich bin nicht sonderlich gut in diesen kitschigen Dingen, das weißt du ja. Daher bitte ich dich, dass du dem Weg folgst und meine Nachrichten liest. Wehe du überspringst eine! Ich kenne dich! Was auch immer du tust, bleib am roten Faden!

 

 

stand auf dem kleinen Zettel geschrieben und ich wunderte mich was sie wohl vor hatte. Einen Moment sah ich mich verwirrt um. Von welchem roten Faden sie wohl sprach? Doch dann sah ich ihn, einen dünnen, roten Wollfaden, der von der Diele in die Küche führte. Ich steckte den kleinen Zettel, den ich gerade gelesen hatte, in meine Hemdtasche und folgte dem Faden weiter. Er führte an unserem Esszimmer vorbei in die Küche, wo ich an unserem Kühlschrank, unter ihrem Lieblingsmagneten, das „Kein Zutritt“-Schild, das an Bilbos Gartenzaun gehangen hatte, einen weiteren Zettel fand.

 

 

Letztes Jahr habe ich deine blöde Liste auf dem Dachboden gefunden. Die mit den Dingen, die du an mir magst. Naja … heute ist Zahltag und du bekommst es zurück. Öffne den Kühlschrank.

 

Seufzend öffnete ich den Kühlschrank. Ich war mir nicht wirklich sicher, ob mir gefallen würde, was hier vor sich ging. Einen Moment fragte ich mich, was wohl im Kühlschrank auf mich warten könnte, doch dann sah ich direkt vor mir, in einem meiner Fächer (ja, in unserem Kühlschrank besaß jeder unserer Familie zwei eigene Fächer) eine Flasche Wasser stehen, auf der mit einem dicken schwarzen Stift „Für später“ geschrieben stand.

 

Überrascht nahm ich die Flasche und beobachtete sie einen Moment. Keine weitere Nachricht stand dort und als ich auch den Kühlschrank ohne Erfolg nach einem Hinweis abgesucht hatte, entschloss ich mich, einfach dem Faden wieder zu folgen. Durch unsere offene Küche konnte ich erkennen, dass der Faden direkt zum Esstisch führte, auf dem ein größeres Blatt Papier lag. Gespannt, was wohl darauf stehen würde, rückte ich einen Stuhl zur Seite und setzte mich einen Moment an den Tisch.

 

 

Wahrscheinlich findest du das hier wunderbar, oder? Du denkst wahrscheinlich, dass es eine kitschige, unglaublich romantische Geste ist, was ich hier mache. Leider hast du damit sogar Recht, fürchte ich. Ich hasse mich selbst dafür, und ich kann nicht verhehlen, dass es tatsächlich sehr kitschig ist. Aber das hier ist so wichtig, dass ich in Zukunft damit leben muss, dass du mich damit aufziehen wirst.

 

Meine Liste wird jedoch anders sein als deine. Ich habe den Vorteil, dich nun für beinahe 12 Jahre zu kennen, wobei du mich gerade mal ein paar Monate gekannt hast, als du deine Liste geschrieben hast. Wir sind schon lange nicht mehr die Leute, die wir damals gewesen sind, aber das ist in Ordnung. Wir lieben uns trotzdem. Wir sind zusammengewachsen und deshalb wird meine eigene Liste auch persönlicher sein. Versuche dich nicht von dem plötzlichen Schwall von Emotionen überwältigt zu lassen und daran zu ersticken, denn ich weiß, das bist du nicht gewohnt. Aber hey, ich bin eine Mom, und du bist Schuld daran, dass das aus mir geworden ist.

 

 

Bei diesem letzten Satz musste ich grinsen. Es war immer noch etwas Wunderschönes, an Teti als eine richtige Mom zu denken. Natürlich, sie war in den letzten Jahren auch für Seth eine Mutter gewesen, mehr als ich es mir je hätte erträumen lassen, doch als Maria gekommen war, war es doch etwas anderes gewesen. Sie hatte sich bereits in den neun Monaten der Schwangerschaft sehr verändert. Und auch danach war sie zu einer wunderbaren Mom geworden, die ihre Tochter mehr als alles auf der Welt liebte. Immer, wenn ich sie mit der Kleinen sehe, egal ob sie sie füttert, mit ihr spielt oder der Kleinen einfach nur beim Schlafen zusieht, merke ich, wie ich mich immer noch mehr in sie verliebe.

 

Auch diesen Brief steckte ich mir wieder in die Tasche und stand vom Stuhl auf, um dem roten Faden weiter zum Wohnzimmer zu folgen. In Gedanken immer noch bei unseren Kindern und wie Teti so spielend leicht mit ihnen fertig wurde ging ich ins Wohnzimmer und sah direkt, wohin sie mich führen wollte.

 

Unser Wohnzimmer war relativ groß, mit den zwei großen schwarzen Ledersofas, die vor dem großen LED-Flachbildschirmfernseher standen, der an einer der Wohnzimmerwände hing. Bereits ziemlich früh, als wir hier eingezogen waren, hatten wir uns dieses Schmuckstück zugelegt in dem Wissen, dass wir beide gerne zusammen Filme sahen. Unter dem Fernseher in einer hochglänzenden Kommode befand sich dann unser größter Schatz, außerhalb unserer Familie: unsere Filmsammlung. Doch der Faden führte nicht dorthin, wie ich es zu Beginn vermutet hatte, sondern zu unserer Nachbildung von Minas Tirith. Wir hatten sie vor vielen Jahren von Peter zusammen mit der Special Extended Edition des dritten Herr der Ringe-Filmes geschenkt bekommen. Vorsichtig hob ich den oberen Teil der Stadt ab, unter die der Faden geklemmt war, und fand in dem runden Loch einen weiteren Zettel.

 

 

Punkt eins: Wie du immer noch, selbst nach 8 Jahren, vollkommen entzückt bist, mich in diesen Filmen zu sehen.

 

Es versetzt mich zurück in die Zeit, in der wir uns kennen gelernt haben, und auch, wenn es nicht immer rosig war, ist es eine Zeit, die ich nie vergessen will. Und du schaffst es mich immer wieder daran zu erinnern. Zu erinnern, wie hart wir für das kämpfen mussten, was wir nun haben.

 

Und trotz jeder Beschwerde, die ich bereits geäußert habe, verhältst du dich noch immer wie ein kleiner Schuljunge, bevor ich in diesen Filmen auftauche. Immer und immer wieder weist du mich darauf hin, wann genau ich in den Filmen auftauche, und kommentierst einfach alles, was ich tue. Und mittlerweile versuchst du auch noch unsere kleine Tochter dazu zubringen zu jubeln, wenn ich auf dem Bildschirm erscheine! Tu ja nicht so, als würde sie das von alleine machen! Ich weiß, was du vorhast!

 

 

Das Lachen, was nun folgte, konnte ich einfach nicht unterdrücken. Es brach einfach so aus mir heraus, teilweise weil sie Recht hatte und teilweise weil ich mich freute, dass das für sie etwas war, was sie an mir mochte. Eigentlich hatte ich erwartet, dass sie mit meinen kleinen Bemerkungen während der Herr der Ringe-Filme eine ganze Liste schreiben konnte, was sie am mir nicht mochte, aber anscheinend überzog sie ihren Ärger meistens. Anscheinend hatte ich immer Recht gehabt, wenn ich sie damit aufzog, dass sie den Film ohne meine Kommentare nur halb so gerne sehen würde.

 

Ich konnte wirklich nicht glauben, was sie hier tat. Es war nicht wirklich Tetis Art, und irgendwie doch, aber genau beschreiben konnte ich es nicht. Eigentlich war sie nicht der Typ für solch kitschige und romantische Sachen und ich hatte gedacht, das Lied bei unserer Hochzeit wäre für sie schon das höchste der Romantik gewesen. Doch anscheinend versteckte sich noch viel mehr in ihr und es machte mir Lust darauf, noch mehr aus ihre herauszukitzeln. Sie konnte mir nicht einfach so sagen, was sie dachte oder fühlte, nicht so wie andere Frauen es vielleicht getan hätten, also verpackte sie es in einer Art Abenteuer.

 

Wie ich diese Frau nur liebte.

 

Ich folgte dem roten Faden weiter und ließ mich von ihm wieder zurück in die Diele leiten. Ich kam nicht umher mir zu wünschen, dass Teti nun bei mir war und diese wundervollen Nachrichten mit mir las. Dann hätte ich sie in die Arme schließen und ihr sagen können, wie sehr ich sie für all das hier liebte. Ich fragte mich, wo sie wohl gerade war. Sicherlich irgendwo in diesem Haus, irgendwo, wo ich sie nicht vermutete, wo ich sie erst finden würde, wenn ich den Weg zu Ende beschritten hatte, den sie für mich bereitet hatte.

 

In weiter Ferne konnte ich ein leises Summen hören, aber die Richtung, aus der es kam, war undefinierbar, und so konnte ich immer noch nicht ausmachen, wo sie sich befand. Außer diesem Summen war unser Haus jedoch mehr als totenstill und ein Teil von mir hoffte, dass es ihr gut ging und ich sie am Ende dieses Weges wirklich treffen würde. Dann sah ich, wie der rote Faden langsam die Treppe zu unseren Schlafzimmern nach oben führte und in der Mitte der Treppe, über dem Geländer, sah ich meine nächste Nachricht.

 

 

Punkt zwei: Dass du immer an meiner Seite geblieben bist, egal was passiert ist.

 

Deine Ausdauer, was mich angeht, war schon immer einmalig und kennt keine Grenzen. Ich habe wirklich keine Ahnung, wie du es schaffst. Du bist trotz vieler Schwierigkeiten immer bei mir geblieben und ich werde sie nicht alle aufzählen, aber ein paar Beispiele werde ich dir nennen, um meine Standpunkt klar zu machen. Bereits deine eigene Liste ist das erste Beweisstück. Zu einer Zeit, in der wir uns nur kurze Zeit kannten und ich dich wegen deiner Verlobung so hart angegangen habe, konntest du mich nicht gehen lassen. Du hast alles versucht um meine Sicht der Dinge zu verstehen und mich nicht zu verlieren, auch wenn wir damals noch dachten, wir seien nur Freunde.

 

Auch als es so aussah, als hätte ich Seth misshandelt und deine Verlobte überfallen, bist du neutral geblieben und hast dich für keine Seite entschieden, obwohl sich viele andere sicherlich für ihre Verlobte entschieden hätten. Du wolltest einfach die Hoffnung nicht aufgeben, dass ich unschuldig war.

 

Nach der Sache mit Paul - du weißt, was ich meine - konntest du mir nicht nahe kommen, konntest mich nicht anfassen, und dennoch bist du bei mir geblieben. Du bist dageblieben, obwohl ich versucht hatte dich mit all meiner Macht zu vergessen, um jemanden zu finden, den ich so lieben konnte wie dich. Aber du, du bist einfach an meiner Seite geblieben und ich danke dir dafür. Ohne dich wäre ich nicht die Frau, die ich heute sein kann.

 

Du warst jeden einzelnen Schritt des Weges bei mir und es macht mich unheimlich glücklich.

 

 

„Klever, die Sache mit der Treppe!“, rief ich dem stillen Haus zu in dem Wissen, dass sie mich schon hören würde. Wahrscheinlich saß sie in irgendeiner Ecke und zitterte schon vor Aufregung wie ich reagieren würde, wenn ich sie sah. Für einen Moment danach war ich mucksmäuschenstill um zu hören, ob ich irgendein Geräusch, ein Lachen oder das Auftreten von Füßen, hören konnte, aber alles war still.

 

Als ich am oberen Treppenabsatz ankam, sah ich, wie sich der Faden immer wieder von der Diele in andere Räume zog und einen Moment war ich geneigt, einfach ans Ende des Fadens zu gehen, aber ich wagte es dann doch nicht. Grinsend ging ich also doch in den nächsten Raum, das Badezimmer, und fragte mich, was sie wohl dort hinterlassen haben könnte.

 

Als ich das Badezimmer betrat, sah ich mich einen Moment um. Was früher einmal ein sauberer, ordentlicher Raum voll von glänzenden weißen Fliesen und einer wunderbaren in schwarzem Klinker eingemauerten Badewanne gewesen war, war nun voll von Farbe und Unordnung. Auch das hatte sich verändert seit wir Maria hatten. Als wir hier eingezogen waren, war Seth schon alt genug gewesen, um nicht in jedem Raum Chaos zu verbreiten, aber Maria mit ihren 13 Monaten war da etwas anderes. Unzählige Wasserspielzeuge und quietsche Enten bedeckten die einzelnen Regale, die wir hatten einbauen lassen, und erst vor einem Monat hatte Hirchop den glorreichen Einfall gehabt, seiner kleinen Nichte Stifte zu schenken, die speziell dafür gedacht waren, um damit Fliesen zu bemalen. Seitdem gab es kaum noch eine Fliese in der Reichweite ihrer Arme, die nicht mit undefinierbaren Gemälden versehen war.

 

Auf dem Spiegel vor dem Waschbecken fand ich dann ihre nächste Nachricht und ich merkte, wie wieder dieses verliebte und aufgeregte Kribbeln in mir aufstieg.

 

 

Punkt drei: Deine Augen.

 

Ich weiß, dass ist ein komischer Punkt, aber ich liebe deine Augen, und ich liebe es noch mehr, dass Maria deine Augen geerbt hat. Ich weiß, du hast dich beschwert, als sie anfingen mehr wie deine zu werden, aber ich war begeistert. Deine Augen sind mein liebster Teil an dir, weil du mit ihnen so unglaublich viel ausdrückst. Ich wusste schon immer, was in dir vorgeht, nur indem ich dir in die Augen gesehen habe. Ich finde es einfach unbeschreiblich, wenn sie sich etwas verdunkeln während du mich beobachtest, wie sie strahlen wenn Maria lacht oder du mit Seth Fußball spielen kannst. Schon am erste Tag, wo ich dich in Queenstown gesehen habe, haben sie mich gefesselt, und um ehrlich zu sein bin ich seitdem süchtig nach ihnen.

 

Oh mein Gott, ich glaube, du wirst mich das hier nie vergessen lassen, oder?

 

 

„Ich werde dir das bis an unser Lebensende vorhalten!“, rief ich ihr entzückt entgegen, wo auch immer sie gerade war. Auch diese Nachricht stecke ich wieder in meine Tasche, keiner dieser Kostbaren Nachrichten wollte ich verlieren und ich würde sie, wenn ich hier fertig war, in unsere kleine Schachtel packen, mit allen Sachen, die uns in unserer Beziehung wichtig gewesen waren.

 

Ein letztes Mal sah ich lächelnd in den Spiegel und betrachtete meine Augen. Doch im Gegensatz zu Teti sah ich dort nur die kleinen Lachfalten, die sich mittlerweile gebildet hatten. Ich wurde langsam älter, das war unverkennbar. Dann blicke ich durch den Spiegel noch einmal auf eines der Gemälde unserer Tochter. Wie ich mir nur wünschte sie hier zu haben. Ihr aufgeregtes Lachen zu hören, wenn ich mit ihr spielte oder in ihr fröhliches Gesicht zu sehen, das ihrer Mutter so sehr ähnelte, aber ich hatte hier einen Weg zu beschreiten, und wäre unsere Tochter im Haus gewesen, hätte Teti sich das Ganze hier sicherlich nicht einfallen lassen. Aber ich musste zugeben, dass es sich ohne meine beiden Frauen und meinen Sohn nicht nach zu Hause anfühlte. Das Leben fehlte irgendwie und es war nur ein stilles, lebloses Haus.

 

Ich folgte dem roten Faden nun schneller, darauf bedacht, schnell mit diesem Spiel fertig zu sein, um dann wenigstens einen Teil meiner Familie in meine Arme schließen zu können, und ich musste den Drang, nun doch einfach eine Station zu überspringen, bekämpfen. Also ging ich weiter ins Schlafzimmer und um ehrlich zu sein hatte ich zu Anfang noch gedacht, Teti hier wieder zu finden, mit einigen Rosenblättern auf dem Bett, aber das war dann doch etwas zu kitschig und klischeehaft für sie. Das war definitiv nicht Teti. Dann fand ich einen weiteren Zettel in der Taschentuchbox auf ihrem Nachttisch. Sie bestand darauf, dass sie dafür war, dass sie mitten in der Nacht nicht aufstehen musste, wenn sie sich die Nase putzen wollte, doch bisher hatte sie das noch nicht einmal getan, in den ganzen Jahren, die wir nun schon ein Bett miteinander teilten, nicht. Der kleine Zettel war nicht wirklich voll beschrieben und wies mich nur an, einige für später mitzunehmen, wie das Wasser, das ich immer noch in meiner Hand hielt. Wofür ich das brauchte, konnte ich mir beim besten Willen nicht ausmalen.

 

Dann kletterte ich auf unser noch vollkommen ungemachtes Bett und las die nächste Nachricht, die sie mir auf mein Kissen gelegt hatte.

 

 

Punkt vier: Unsere nächtlichen Gespräche.

 

Ich werde nie unser erstes Gespräch in der Dunkelheit vergessen. Es war die erste Nacht, in der wir überhaupt zusammen in einem Bett gelegen haben. Nach Monaten, die wir wussten, was zwischen uns war und es einfach nicht sagen konnten, hatten wir endlich das sagen können, was uns so lange Zeit beschäftigt hatte. Ich habe einfach in deinen Armen gelegen und deinem Herzschlag gelauscht. Du hast das mit deinen Fingern auf meinem Rücken gemacht, was ich so liebe, selbst damals hast du es gewusst, und wir waren in vollkommener Dunkelheit. Ich habe dir erzählt, welche Angst ich hatte, wie sich nun alles verändern würde, wie wir uns verändern würden, und du hast mir gesagt, ich solle keine Angst vor etwas haben, was sich so richtig anfühlt.

 

Deine Art zu wissen, dass ich mit dir reden muss, ohne dass ich etwas sage, das ist einfach unglaublich. Du legst dich dann immer hinter mich, weil du weißt, dass es mir so viel leichter fällt zu reden wenn es dunkel ist. Dann streichelst du immer meinen Rücken, weil du weißt, dass es mich beruhigt.

 

Du hörst dir an, was ich zu sagen habe, egal was es ist, und dann küsst du mich und sagst mir deine Meinung dazu und wir reden einfach. So lange wir wollen und müssen. Es bedeutet mir wirklich alles, dass du der Einzige bist, der es versteht, der mich versteht. Du akzeptierst, wer ich bin, weißt, dass ich mehr als verdreht bin, aber du schaffst es immer wieder, mir einen besseren Weg zu leben aufzuzeigen, selbst heute noch.

 

Du hast mich zu einer besseren Person gemacht.

 

Na, wie sieht‘s aus mit der Romantik? Schnulzig genug?

 

 

Um ehrlich zu sein wusste ich gar nicht anders auf diese Nachricht zu reagieren als zu lachen. Diese ganze Sache war einfach so wunderbar und unglaublich, aber genauso, wie mir das alles gefiel, vermisste ich sie. Auch ich liebte unsere nächtlichen Gespräche, sie brachten uns einander näher, halfen uns Sachen auszusprechen, die sonst vielleicht unausgesprochen blieben. Ich freute mich schon auf die kommende Nacht, in der ich sie einfach nur würde halten können und ihr erzählen würde, was ihr kleine Spiel in mir ausgelöst hatte, dass ich sie so sehr liebte und in diesem Moment so sehr vermisste.

 

Im letzten Moment, als ich schon dem roten Faden wieder folgen wollte, bemerkte ich dann, dass auch auf ihrem Kissen eine Nachricht lag. Ihr Kissen lag auf der farbigen Seite und der weiße Stoff lag oben, daher hatte ich die Nachricht zuerst nicht gesehen. Sicherlich wäre es nicht gut gewesen, diese Nachricht einfach zu überspringen.

 

 

Punkt fünf: Wie hart du dafür gearbeitet hast, LA zu unserem zu Hause zu machen.

 

Kannst du dich noch an unsere erste Nacht hier in LA erinnern? Wir hatten all diese vollbepackten Kartons im Wohnzimmer aufgestapelt und der Strom ging noch nicht. Es war kalt und dunkel gewesen, aber du hattest darauf bestanden, bereits einzuziehen. Du hast jede Kerze, die du finden konntest, angezündet, hast Seth ins Bett gebracht und wir haben uns dann zusammen auf unsere alte Matratze gelegt. Als ich leicht gezittert habe und Seth nicht alleine schlafen wollte, bist du noch extra losgefahren und hast in einem Supermarkt so viele Decken und Kerzen gekauft, wie sie da hatten. Wir haben uns zu dritt ins Bett gelegt und sind zusammengerückt wie Pinguine, die einem Schneesturm entgegensehen.

 

Genau in der Nacht habe ich gesehen, wie wichtig es dir war, dass wir uns hier zu Hause fühlten, dass wir glücklich waren. Du hast dieses Haus gekauft, weil du, trotz all den Möglichkeiten, die du als Schauspieler gehabt hättest, uns nur hast glücklich werden sehen. Wir waren noch nicht lange verheiratet gewesen und für uns beide war LA etwas ganz Neues und Anderes.

 

Du hast so viel an diesem Haus gearbeitet, mit deinen eigenen Händen, obwohl wir genug Geld hatten um hunderte Handwerker an dem Haus arbeiten zu lassen, oder uns direkt ein Neues zu Bauen. Aber du wolltest es nicht. Du wolltest es selbst zu dem zu Hause machen, in dem wir uns wohlfühlen, und das hast du geschafft. Jeden Tag, wenn ich einkaufen, arbeiten oder spazieren war und ich wieder hierher zurück komme, freue ich mich, dieses Haus zu sehen, weil ich weiß, was du alles für unsere Familie getan hast. Ich liebe es, dass Seth und Maria die Möglichkeit haben hier aufzuwachsen. Und auch, wenn sie unsere Badezimmerfliesen und den Teppich in der Diele ruinieren, machen sie dieses Haus erst komplett. Sie machen es perfekt und dafür bist alleine du verantwortlich.

 

Vielleicht sollte ich in diesem Fall meinen Punkt fünf umbenennen:

 

Punkt fünf: Du bist mein zu Hause.

 

 

Es war schwer sich noch gegen die Tränen zu wehren, die sich den Weg in meine Augen bahnten. Wenn ich sie eben noch in meiner Nähe hatte haben wollen, brauchte ich sie nun. Ich wollte sie küssen und sie nie wieder loslassen, wollte ihr sagen, dass sie mein zu Hause war und dass dieses Haus und diese Familie nicht wegen mir, sondern wegen uns so perfekt war. Wir hatten beide hart dafür gearbeitet. Sie war diejenige, die Maria geboren und bis hierher erzogen hatte, unser kleines Wunder.

 

Langsam kletterte ich wieder vom Bett herunter, als ich mich wieder etwas gefangen hatte und nicht drohte doch noch in Tränen auszubrechen. Ich folgte wieder dem roten Faden und diesmal führte er in das Schlafzimmer von Seth.

 

Ich stocke einen Moment. Hier hatte eindeutig niemand mehr aufgeräumt seit Viggo Seth abgeholt hatte. Seine Schulsachen lagen auf dem ganzen Boden verstreut und es sah nicht so aus, als würde mein Sohn diese Sachen je wieder sortiert bekommen. Ich musste lachen. Wahrscheinlich wollte Teti mir damit nur zeigen, dass Seth wirklich mehr als unordentlich war, was ich ja immer bestritt. Selbst, wenn sie hier einen Zettel versteckt hätte, hätte ich ihn in diesem Chaos niemals gefunden. Erst, als ich mich umdrehte und aus der Tür gehen wollte, sah ich an Seth’ Pinnwand einen kleinen Zettel mit Ihrer Handschrift.

 

 

Punkt sechs: Wie du mir ein Kind geschenkt hast, bevor ich wusste, dass ich eines will.

 

Ich weiß, das ist eigentlich kein richtiger Punkt, aber ich wollte es dennoch erwähnen, weil es mir wichtig ist.

 

Du hast nicht darauf gewartet, bis Seth‘ Mutter aufgewacht ist, sondern bist direkt mit dem Kleinen zu mir gekommen. Hast ihn mir als allererste auf den Arm gelegt, als hättest du gewusst, dass ich tief im Innersten seine Mutter war, und immer sein würde.

 

Ich weiß, du hast schon vor langer Zeit von unserer Verbindung gewusst, aber ich bezweifle immer noch, dass du damals schon wusstest, was das Ganze mit Seth zu tun hatte, dass er unser erster Sohn war. Du hattest einfach so großes Vertrauen in mich, wusstest, dass ich dieses kleine Kind lieben würde, und ich bin froh, dass ich dein Vertrauen nie gebrochen habe und dass Seth wirklich zu meinem eigenen Sohn geworden ist. Es gibt für mich keinen Unterschied zwischen Seth und Maria, außer dass er nun einmal ein Junge ist und sie ein Mädchen. Er ist mein Sohn, egal was in den Papieren steht oder was andere sagen mögen. Durch ihn und durch dich hatte ich eine Familie, auf der ich mein Leben aufbauen konnte, als alles zusammenzustürzen schien.

 

 

Einen Moment hielt ich den Zettel noch fest in meiner Hand, sah, dass er leicht gewellt war. Hatte Teti beim Schreiben dieser Nachrichten vielleicht selbst geweint? War sie wirklich so emotional geworden, dass sie selbst beim Schreiben von Nachrichten weinte?

 

Nun führte der Faden in Marias Zimmer und ich war gespannt, was mich in ihrem hellen und freundlichen Zimmer erwarten würde. Hier war es eindeutig ordentlicher als in Seth‘ Zimmer und ich wusste, dass es daran lag, dass Teti hier noch etwas mehr auf Sauberkeit achtete. Seth musste langsam lernen, dass er seine Sachen selbst aufräumen musste, Maria war dazu noch zu klein. Die nächste Nachricht sah ich auf Anhieb, wie sie von dem kleinen Mobile herunterhing, das ich Maria gebastelt hatte.

 

Ich lächelte als ich bereits die ersten Zeilen las.

 

 

Keine Angst, du bist fast am Ende. Ich weiß, du stirbst wahrscheinlich vor Neugierde, warum ich das alles tue. Du hast nur noch einen Brief und zwei kleine Nachrichten vor dir. Du schaffst das, Orlando, du hältst bis zum Ende durch. Nur beeil dich bitte, okay?

 

Punkt sieben: Was für ein wundervoller Vater du für die Kinder bist.

 

Ich wusste schon immer, dass du ein wunderbarer Vater bist, auch vor Seth. Du hast diese kindliche Ader an dir, diese verspielte, alberne Art, die dich zum Magneten für Kinder macht (denk nur an die Hochzeit von Billy, ich habe dich die ganze Nacht nicht gesehen). Aber irgendwie, auch wenn ich das genau weiß, ist es dennoch erstaunlich und wundervoll, dich mit den beiden zu sehen. Auch wenn du viel zu tun hast, lässt du dir nie die Zeit mit deinen Kindern nehmen und es ist so wundervoll euch drei lachen zu sehen, meine kleine Familie.

 

Ich weiß, welche Angst du hattest, als Maria geboren wurde. Ich weiß, dass ihre Geburt alles andere als leicht war und dass es schwer für dich war, mich so zu sehen. Ich weiß, dass es dir eine Heidenangst eingejagt hat sie zu verlieren, und ich weiß, dass du immer noch zitterst, wenn du daran denken musst. Mir geht es nicht anders, aber gerade deswegen ist es ein Geschenk euch so glücklich zu sehen. Deine Frau zu sein und die Mutter deiner Kinder ist das Beste, was mir je passieren konnte.

 

 

Wieder hielt ich inne. Die Erinnerung an diese schweren Stunden, in denen wir fürchten mussten, dass unsere Tochter, meine zweite Tochter, an einer um den Hals gewickelten Nabelschnur starb, war immer noch schrecklich für mich, und Teti hatte Recht: es ließ mich immer noch zittern. Wenn ich nur daran dachte wie die Ärztin Maria hatte im Mutterleib drehen müssen, den Schrei, den Teti dabei getan hatte, zerriss mir immer noch das Herz.

 

 

Ich hoffe, der Punkt macht dich nicht allzu traurig. Ich meine es nämlich im besten Sinne. Ich liebe es, dass du so ein großartiger Vater bist und all das sein kannst, was unsere Väter auch für uns gewesen sind. Du wirst für immer für die beiden da sein, egal was passiert.

 

Ich liebe es, wie ähnlich die beiden dir sind. Sie haben dein Lachen und deine Augen, aber sie haben auch deine Seele. Sie sind freundlich und sie machen jeden Spaß mit. Seth hat mittlerweile sogar schon deine Anziehungskraft für Mädchen geerbt, auch wenn mir das im Moment noch nicht so gut gefällt.

 

Ich weiß, du wolltest, dass zumindest Maria eine kleine Version von mir wird, aber ich bin so froh, dass auch sie ein kleiner Orlando ist. Du bist das perfekte Vorbild für unsere Kinder und immer, wenn einer von ihnen etwas macht, das mich an dich erinnert, bekommen ich eine Gänsehaut.

 

 

Die Träne, die nun meine Wangen hinunterlief, konnte ich einfach nicht mehr aufhalten, auch wenn ich verzweifelt versuchte mich zusammenzureißen. Wie konnte sie mich nur so emotional werden lassen, ohne dass sie überhaupt hier war? Ich steckte auch diese Nachricht zu den anderen, die ich während dieser Reise durch unser Haus bereits erhalten hatte, und folge dem Faden weiter ins Arbeitszimmer, wo bereits ein riesiger Teddy auf mich wartete. Es war der Teddy, den ich ihr geschenkt hatte, nachdem sie zusammen mit Maria aus dem Krankenhaus gekommen war.

 

„Teti Bloom, ich liebe dich!“, rief ich nach oben als ich sah, dass die Leiter zum Speicher ausgeklappt war. Warum war ich nicht schon vorher darauf gekommen, dass sie sich wieder hier versteckte? Aber bevor ich zu ihr hoch ging nahm ich mir noch die Nachricht, die auf dem Bär auf mich wartete.

 

 

Hier sind also meine sieben Gründe zusammen mit schmalzigen, kitschigen Erklärungen und einer kleinen Reise in das Land der Erinnerungen. Ich hoffe, du bist stolz auf dich, denn ich bin gerade viel zu emotional.

 

Natürlich hattest du keine Kontra-Liste, weil du Mr. Perfect bist, und das ist einfach nur so typisch von dir. Aber ich bin nicht perfekt und daher habe ich auch für dich eine Kontra-Liste. Ich weiß, du siehst wahrscheinlich gerade geschockt auf das Papier, aber du solltest erst einmal weiterlesen. Ich denke, du wirst es sehr lehrreich finden.

 

 

Ich ging also weiter zum Ende des Fadens an die erste Stufe der Leiter zum Speicher. Ich konnte es kaum erwarten zu ihr zu kommen, um sie endlich in meine Arme zu schließen. Ich war vollkommen fasziniert und ich wusste, dass sie sich meines Zustandes mehr als bewusst war. Ich sah mich also noch mal um, um die neue Liste zu finden, und es dauerte nicht lang, bis ich sie am oberen Ender der Leiter angeklebt fand. Langsam kletterte ich also hinauf. Ich wusste, sie war hier, aber noch konnte ich sie nicht sehen, also widmete ich mich erst ihrer Liste.

 

 

Die Kontra.Liste:

 

Punkt eins: Dass deine albernen Zukunftsvisionen immer wahr werden müssen.

 

 

Ich seufzte. Ich wusste wirklich nicht, wovon die sprach, und entschied mich komplett auf den Speicher zu klettern, um sie endlich zu finden. Anstelle von ihr fand ich jedoch eine Verpackung. Sie war schmal und länglich und ich brauchte mir sie nicht genau anzusehen um zu ahnen, was das war. Sie lag einfach da, sah mich an, als wäre es eine vollkommen unschuldige Pappschachtel.

 

„Teti?“, fragte ich zögernd, beinahe stimmlos. Sie antwortete nicht, aber ich konnte ihren flachen Atem hören und orientiere mich daran. Aber es war auf einmal, als hätte ich gerade erst gelernt zu reden. Diese kleine Schachtel hatte mich komplett aus dem Konzept gebracht. Einige Schritte weiter sah ich die zusammengedrehte Gebrauchsanweisung der Verpackung. Ich musste es jedoch nicht lesen um zu wissen, was genau sie sagte.

 

„Was...“ Ich konnte die Worte kaum formen, sondern folgte einfach weiter dem Geräusch ihres Atems, wie er stockte, wenn ich sprach. Sie war nervös und ich war zu geschockt, um ihr irgendetwas Beruhigendes zu sagen.

 

Und dann, direkt vor mir auf dem Karton, in dem ich die Farbrollen aufbewahrte, lag der restliche Inhalt der kleinen Verpackung. Der Beweis für das, was nun in meinem Kopf vorging, für das, was ich eigentlich schon am Anfang ihres kleinen Spieles hätte erraten müssen. Der einzige Grund, warum sie so etwas jemals machen würde.

 

Teti war schwanger.

 

Schon wieder.

 

„Heilige Scheiße!“

 

„Das habe ich auch gesagt.“ Und als ich nun hoch sah stand sie dort, meine Teti, leicht gehockt hinter den Kartons, die wir immer noch nicht ausgepackt hatten. Selbst in dem eher spärlichen Licht im Speicher konnte ich erkennen, dass sie mich abschätzend ansah. Wahrscheinlich versuchte sie meine Reaktion zu erraten. Als sie merkte, dass ich keine Worte für das finden konnte, was gerade in meinem Kopf vorging, kam sie etwas hinter den Kartons hervor, damit ich sie besser sehen konnte. Sie trug ihre alten Jogginghose, die, die sie schon in London gehabt hatte, und darüber trug sie ein T-Shirt und die Herr der Ringe-Weste vom 133. Drehtag. Ihre Haare hingen unordentlich in ihr Gesicht herunter.

 

Wie verdammt bezaubernd sie in diesem Moment aussah, war einfach unbeschreiblich.

 

„Du...“, schaffte ich dann doch noch ein Wort zu formen und sie nickte nur, während sie mit leicht zitternden Lippen einatmete. „Wir...“, wieder nickte sie nur. „Ich...“

 

„Ja“, flüsterte sie und drückte ihre Hände fest in die Taschen der Weste und wartete immer noch auf meine Reaktion. Doch im ersten Moment wusste ich nicht, wie ich reagieren sollte. Ich musste wieder an die Geburt von Seth und Maria denken. Einmal hatte ich ein Kind verloren und das zweite Mal war es nur sehr knapp gut ausgegangen.

 

Aber dennoch schaffe ich es zu reagieren, und nicht zimperlich. Ich ging mit einigen wenigen Schritten auf sie zu und schloss sie in meine Arme, so fest ich nur konnte. Sofort atmete ich ihren Geruch ein und er überwältigt mich, als ich meine Nase gegen ihren Nacken drückte. Sie schlang nun auch ihre Arme um mich und ich wusste, dass sie lächelte.

 

Ich konnte kaum glauben, dass das wirklich passierte, wie unglaublich glücklich ich nun war.

 

„Wir bekommen noch ein Baby“, flüsterte ich leise und beinahe ungläubig.

 

„Nein, wir bekommen noch zwei Babies“, sagte sie mir nun mit belegter, aber glücklicher Stimme. Mein Kopf schnellte erschrocken nach oben. Hatte ich gerade richtig gehört? Zwei Babies? Ich sah ihr in die Augen, um zu bestätigen, dass ich mich nicht verhört hatte, und das hatte ich tatsächlich nicht. In ihren Augen leuchteten einzelne Freudentränen, die das Licht aus dem kleinen Speicherfenster spiegelten, als wären es Sterne. Dann merkte ich, wie mein Magen sich auf einmal furchtbar leer anfühlte. Es fühlte sich so an, als grabe er sich gerade selbst um.

 

„Wir bekommen Zwillinge“, hauchte ich und legte meine freie Hand auf ihren noch flachen Bauch. Mein Kopf versuchte es immer noch zu verarbeiten, fragte sich einen Moment, wie sie allein durch den Test schon wissen konnte, dass es Zwillinge waren. Aber wahrscheinlich war sie schon beim Frauenarzt gewesen und hatte nicht vorher mit mir darüber reden wollen. Ich war vollkommen ekstatisch und ängstlich zur selben Zeit.

 

Ich konnte nicht gerade davon reden, dass ich bisher gute Erfahrungen mit dem Kinderbekommen gemacht hatte. Meine erste Tochter Isis war bereits im Mutterleib gestorben und bei unserer kleinen Maria wäre es beinahe dasselbe gewesen. Die Angst keimte so sehr in mir auf, dass ich ein leichtes Zittern meiner Hände nicht unterdrücken konnte.

 

„Du hast Angst, das weiß ich“, sagte sie mit sanfter Stimme. „Aber es ist alles in Ordnung. Uns geht es gut. Ich kann verstehen, dass du dir Sorgen machst, dass sich die Sache mit Isis oder Maria wiederholen könnte, aber das wird nicht noch mal passieren. Du wolltest schon immer viele Kinder und in sechs Monaten werden wir zwei neue wunderbare kleine Wesen in unserer Familie haben.“ Vorsichtig drückte sie meine Hand. Nun war sie es, die mich unterstützte. „Es wird alles gut gehen. Keine Probleme dieses Mal. Wir werden unsere Familie vergrößern und noch glücklicher sein, als wir es jetzt schon sind.“

 

Ich konnte nicht anders als sie bewundert anzusehen. Was sollte man auch schon dazu sagen? Sie hatte sich wirklich sehr geändert, nicht nur seit ich sie kannte, sondern auch seit der Schwangerschaft mit Maria. Damals hatte sie noch gejammert, dass sie nicht mehr wollte. Nun schien sie vollkommen erfreut über die Tatsache, dass sie wieder Mutter werden würde, und das zeigte mir, wie sehr unsere Beziehung und unsere Kinder sie hatten wachsen lassen. Sie hatte sich anderen geöffnet, hatte sie sehen lassen, wer sie wirklich war. Sie hatte für ihre Träume gekämpft und gewonnen, und ich war froh ein Teil davon sein zu können.

 

Sie hatte mit angesehen, wie unsere Tochter beinahe gestorben war und hatte unsägliche Schmerzen ausgestanden, und dennoch stand sie nun vor mir mit dieser unbeschreiblichen Vorfreude in ihren Augen. Weil sie mich liebte und es brachte mich dazu, sie noch viel mehr zu lieben als ich es sowieso schon tat.

 

Nach einer weiteren Sekunde, in der ich sie einfach nur anstarrte, merkte ich dann, wie mein Herz anzuschwellen schien, um Platz für noch mehr Liebe zu machen, Liebe für meine beiden noch ungeborenen Kinder, die nun unter dem Herzen ihrer Mutter heranwuchsen. Ich stellte mir Seth und Maria als die großen Geschwister vor und ich merkte, wie meine Augen feucht wurden.

 

„Wir bekommen Zwillinge“, sagte ich mit zugeschnürter, jetzt aber glücklicher Stimme. Durch die Dunkelheit hindurch versuchte sie in meine Augen zu sehen und anscheinend fand sie in ihnen, was sie suchte, denn nach einem zufriedenen Seufzer drückte sie sich wieder an mich. Ich war froh sie endlich in meinen Armen zu halten, nach all den Nachrichten, die ich in den letzten Minuten ohne sie gelesen hatte. Ich war immer noch geschockt, aber es war nun eine gute Art von Schock. Die Art von Schock, bei der man am liebten nach draußen gelaufen wäre und alles in die Welt hinaus posaunt hätte.

 

„Ich liebe dich“, flüsterte ich ihr zu und berührte ihre Nase mit meiner. Ich sah, wie sie auf ihre Lippe biss und sich dann nach vorne lehnte, um mich sanft aber leidenschaftlich zu küssen.

 

„Ich weiß.“ Ihre Worte waren nur noch gehaucht zwischen den Küssen, die nicht im Geringsten ausdrücken konnten, wie sehr wir uns gerade liebten. Dann entfernte sie sich wieder von mir und nahm die Taschentücher, die ich in der Hand hatte. Jetzt, wo sie meine und ihre Tränen von unseren Gesichtern wischte, wusste ich, wofür ich diese Dinger gebraucht hatte. Dann gab ich ihr lachend die Flasche Wasser und sie trank beinahe gierig.

 

„Teti?“, sagte ich als sie noch immer trank. „Ich vermisse unsere Kinder.“

 

Ich konnte erkennen, wie sie etwas durchatmete, und ich konnte erraten, dass sie erleichtert war, dass ich es als erster ansprach. „Meinst du, wir können sie Viggo entreißen?“

 

„Ja, bitte“, antwortete ich und ich merkte, wie Teti meine Hand wieder fester drückte.

 

„Gott sei Dank“, sagte sie und zerrte mich bereits förmlich zur Leiter. „Ich habe mich schon den ganzen Abend zusammengerissen, sie nicht wieder abzuholen.“ Ich kicherte kurz, als wir vorsichtig wieder den Speicher verließen. Als wir beide sicher unten angekommen waren, zog ich sie noch mal an mich heran und küsste sie leidenschaftlich, und meine Finger streichelten über ihren Rücken und fanden dann ihren Weg unter die Weste, die eigentlich mir gehört hatte. Sie presste sich dichter gegen mich, leicht keuchend, als meine kalten Finger über ihre warme Haut glitten.

 

„Orlando?“, unterbrach sie unseren Kuss beinahe sprachlos. Ich konnte nur unter dem Kuss grummeln und sie nahm es als eine Bestätigung weiterzureden. „Was hältst du davon vorher noch etwas Zeit für uns zu haben, in unserem Schlafzimmer?“

 

„Gott, ja“, raunte ich ihr entgegen, als ihre Finger nun auch unter mein Hemd glitten. Sie kicherte aufgeregt, als ich sie nun hochhob und sie bis zu unserem Bett trug. Wenn sich vieles an uns geändert hatte, an unserer gegenseitigen Anziehung hatte sich nichts geändert.

 

Wenige Stunden später lagen wir nebeneinander im Bett, doch diesmal lag die kleine Maria zwischen uns, und wir wussten, dass Seth ruhig in seinem Zimmer schlief. Nachdem wir Viggo als erstem unsere freudige Nachricht überbracht hatten, hatte er Verständnis dafür gehabt, dass wir unsere Kinder wieder bei uns haben wollten. Er hatte sogar Seth, der eigentlich bei Viggo hatte bleiben wollen, überredet mit uns zu kommen.

 

Maria schlief bereits tief und fest, sicherlich fühlte sie sich zwischen unseren warmen Körpern mehr als wohl und geborgen, und wer konnte es ihr auch verübeln. Ich jedoch konnte noch nicht schlafen. Ich konnte einfach nur Teti anstarren, wie sie mit nachdenklichem Blick an die Decke starrte. Vorsichtig, um sie nicht zu erschrecken, streichelte ich über ihre Haare und sie lächelte leicht. Sie sah so wundervoll aus in diesem Moment und ich wollte diesen Augenblick für immer in mein Gedächtnis einbrennen, diese bedingungslose Freude.

 

„Du weißt aber, dass du einige Dinge auf deiner Liste vergessen hast?“, flüsterte ich leise und sie öffnete entspannt ein Auge um mich anzusehen.

 

„Ach ja? Und was soll das bitte schön sein?“, fragte sie leise, darauf bedacht unsere Tochter nicht zu wecken.

 

„Na ja, zum Beispiel, dass ich nach all diesen Jahren immer noch so unglaublich attraktiv bin, oder dass ich so ein wunderbarer Liebhaber bin, oder dass ich so stark und männlich bin und -“ Ihr leichter Tritt gegen mein Schienbein hielt mich davon ab, weiter zu reden. Ich sah sie fragend an und bemerkte, dass sie mich gespielt skeptisch ansah.

 

„Hatte ich erwähnt, dass der Postbote der Vater der Zwillinge ist?“, stichelte sie leise und schloss ihre Augen wieder, und ich konnte nicht anders als sie glucksend anzugrinsen.

 

„Das wage ich zu bezweifeln.“

 

„Meinst du etwa, ich kann den Postmann nicht herumkriegen?“, fragte sie dann gespielt beleidigt und ich musste mich zusammenreißen, um nicht loszulachen und damit unsere Tochter zu wecken.

 

„Ich bin mir sicher, du würdest ihn herumkriegen können, aber er ist kurz davor in Rente zu gehen. Er ist einfach ein bisschen zu alt für dich.“ Ich wusste, diese Sticheleien konnten noch ewig so weitergehen und keiner von uns würde je als Sieger hervorgehen, aber es war einfach zu schön.

 

„Na ja, das ist der Grund, warum ich immer noch bei dir bin. Ich brauche ja Unterstützung mit meinen Kuckuckskindern.“

 

„Ja klar, das sehe ich ein. Es ist nicht, weil ich Mr. Perfect bin, ein wunderbarer Vater oder weil ich es schaffe, dass du dich besser fühlst.“ Sie trat mich wieder leicht gegen das Schienbein und wir beide bleiben einen Moment still als Maria sich versuchte umzudrehen. Als wir jedoch sicher waren, dass sie immer noch schlief, redeten wir mit gedämpften Stimmen weiter.

 

„Du bist ein richtiger Mistkerl“, zischte sie grinsend und ich wuschelte über ihren Kopf, als sei sie ein Hund, dem ich wüst über den Kopf streichelte.

 

„Aber du liebst mich trotzdem“, bemerkte ich lächelnd, als sie meine Hand weggschlug. Dann vergrub sie ihren Kopf weiter in das Kissen und gähnte entspannt.

 

„Das stimmt wohl“, atmete sie die Luft wieder aus und ich lehnte mich vorsichtig über Maria um sie zu küssen.

 

„Oh Mist, ich hab ganz vergessen es dir zu erzählen!“, zischte ich tonlos. „Ich wollte es dir erzählen, aber dann wurde ich bereits, als ich die Tür reinkam, abgelenkt. Sie öffnete wieder ihre Augen, stützte ihren Kopf auf ihre Hand, um mich mit ihrer ganzen Aufmerksamkeit anzusehen.

 

„Ich habe heute Morgen ein Angebot für einen neuen Film erhalten“, sagte ich geheimnisvoll und ich sah ihr an, dass sie im ersten Moment alles andere als erfreut war. Ich hatte seit langem keinen Film mehr gedreht, sondern hatte mich eher in Serien zurückgezogen, die mir einen mehr oder weniger geregelten Tagesablauf bescherten. Ich erinnerte mich noch an unsere Unterhaltungen zu Beginn unserer Beziehung. Wie unzufrieden sie gewesen war, dass ich durch die Filme und die Interviews kaum Zeit für sie oder Seth gehabt hatte. Wahrscheinlich fürchtete sie, es würde nun alles wiederkommen, und das auch noch während ihrer Schwangerschaft.

 

„Man hat darauf bestanden, dass ich meine Frau mitnehme. Ohne dich soll ich erst gar nicht in Wellington aufkreuzen“, sagte ich und nun war ich es, der auf ihre Reaktion wartete.

 

„Wellington? Was hat Peter denn jetzt schon wieder vor?“, fragte sie direkt. Natürlich musste sie sofort an Peter denken, für wen hätten wir auch sonst in Wellington arbeiten sollen?

 

„Ich werde wieder Legolas sein“, sagte ich nur kurz und ein Kribbeln durchfuhr mich bei diesem Gedanken. Nach 8 Jahren würde ich wieder in dieses Elbenkostüm mit der langen blonden Perücke schlüpfen und ich war mir sicher, dass es Erinnerungen wachrufen würde und es war eine wundervolle Geste von Peter auf Teti zu bestehen. Er wusste, was sie konnte, und das machte mich stolz.

 

„Ich bin so stolz auf dich, Teti“, flüsterte ich ihr zu und streichelte mit meiner Hand über ihren Bauch. „In dir wachsen unsere neuen Wunder heran.“

 

„Ich liebe dich.“ Nun war sie es, die sich über unsere Tochter lehnte, um ihre Stirn gegen meine zu pressen.

 

„Ich liebe dich auch.“ Und niemals war ich mir dessen so bewusst gewesen, wie in diesem Moment, in diesem Moment, in dem sie meine perfekte zweite Hälfte bildete, in dem Moment, wo sie mich wieder einmal zum glücklichsten Mann der Welt gemacht hatte.

 

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