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Die Liste

 

 

 

 

„Schatz, ich bin wieder da!“, schrie ich als ich gerade die Tür zu unserem Haus aufgeschlossen hatte und hindurch gegangen war. Ich brauchte sie nicht sehen um zu wissen, dass sie wahrscheinlich gerade ihre Augen mit einem kleinen Kopfschütteln verdrehte. Ich wusste es nicht nur, weil ich das jeden Freitagabend sagte, wenn ich vom Set kam und sie immer so reagierte, sondern auch, weil ich sie mittlerweile gut genug kannte um ihre Reaktionen zu erraten.

 

Meistens hatte sie eine geistreiche Retorte, mit der sie mir auf meine Begrüßung antwortete, aber wenn ich sie einmal anlächelte, konnte sie nicht anders als zu lachen. Sie bestand drauf, dass ihre Unfähigkeit, ernst zu bleiben, daran lag, dass ich komisch aussah, wenn ich lachte. Aber ich wusste, dass ich sie einfach nur in meinen Bann gezogen hatte.

 

Ich hing meine Jacke an der Garderobe in der Diele auf und machte mich auf den Weg in unser Wohnzimmer, wo ich sie vermutete. Dort wartete sie normalerweise immer auf mich, wenn ich nach Hause kam. Es gab eindeutig Vorteile, vom Filmgeschäft ins Seriengeschäft umgestiegen zu sein. Ich kam meistens zu geregelten Zeiten nach Hause und musste nicht mehr durch die Gegend reisen.

 

Im Wohnzimmer war keiner und auch im Esszimmer und in der Küche war sie nicht zu sehen. Was mir jedoch auffiel, war, dass es in unserem Haus ungewöhnlich leise und kühl war. Auf dem kleinen Tisch neben dem Sofa stand eine angebrochene Tasse Kakao, die offensichtlich vergessen wurde. Als ich sie in die Küche brachte und ausschüttete merkte ich, dass der Kakao schon lange so dagestanden haben musste, denn er war kalt. Ich schüttelte kurz meinen Kopf als ich die anderen Sachen sah, die sie noch in der Küche hatte stehen lassen. Wenn ich nicht darauf achtete, dann artete unser Haus nach einigen Tagen in ein reines Chaos aus. Das war jedoch nicht nur ihre Schuld. Es war nicht einfach mit einem 10-jährigen zusammenzuleben, der eine Passion für Lego hatte.

 

"Teti?", rief ich als ich dem Weg des Chaos weiter nach oben ins Obergeschoss folgte. Aber auch da war keine Spur von ihr zu sehen, zumindest keine, die mir gezeigt hätte, wo sie nun gerade war.

 

"Ich bin hier!", hörte ich ihre leicht abgelenkte Stimme. Die Stimme kaum aus dem Arbeitszimmer, aber ich war mir sicher, sie nicht am Schreibtisch sitzen gesehen zu haben. Dennoch entschied ich mich noch mal nachzusehen. Sie saß tatsächlich nicht am Schreibtisch, aber die Leiter zum Speicher war ausgeklappt, daher auch die Kälte.

 

"Was tust du da?" Ich sah mich im Speicher um. Überall lagen alte Bilder herum, sehr alte Bilder, Herr-der-Ringe-alte Bilder, und ich fragte mich, was sie da machte. Teti saß inmitten von alten Kartons, die wir beim Umzug in dieses Haus einfach unausgeräumt in den Speicher gestellt hatten. Es waren Sachen, die wir nicht wegschmeißen konnten, für die wir aber auch keinen richtigen Platz in unseren Räumen hatten. Genau vor ihr lag ein Bild vom allerletzten Drehtag von Herr der Ringe. Seitdem waren 8 Jahre vergangen und vieles hatte sich geändert, wir hatten uns verändert.

 

Sie trug aus praktischen Gründen schon seit einiger Zeit ihre Haare nicht mehr offen und meine Haare waren weitaus kürzer als früher. Ich hatte einfach nicht mehr die Zeit, jeden Morgen darauf zu achten, wie sie lagen, da hatten wir Wichtigeres zu tun. Ich war kein Filmstar mehr, sondern ein Serienstar, und sie war eine weltweit angesehene Ägyptologin, die als Dozentin in einer Uni arbeitete.

 

„Orlando.“ Ihr Blick und ihre Stimme sagten mir, dass sie alles andere als glücklich war. Sie klang verwirrt und etwas traurig. Was stimmte wohl nicht mit ihr? Ich konnte es nicht sagen, also kniete ich mich vor sie und küsste sie zärtlich auf die Stirn, aber sie machte keine Anstalten meine Geste zu erwidern.

 

Dann streckte sie mir ihre Hand entgegen, in der sie etwas hielt. Ich sah, dass es Papier war und durch unseren eigentlich unbedeutenden Streit am Vorabend hatte ich im ersten Moment die total unbegründete Angst, dass es sich um Scheidungspapiere handelte. Dafür war die eine Seite, die ich dann in der Hand hielt, jedoch zu wenig und das Papier fühlte sich zu alt und gebraucht an.

 

"Du musst dir das schon ansehen, um zu wissen, was das ist." Tetis Stimme war ungewöhnlich still und ruhig und ich wusste, der einzige Weg um rauszufinden, was los war, war, zu lesen, was auf diesem Papier stand. Ihr Blick machte mich mehr als unsicher und ich fragte mich wirklich, was da auf diesem Papier stand.

 

„Oh“, war das einzige, was ich rausbrachte, denn ich erkannte das Blatt wieder, sobald ich es aufgeklappt hatte. „Oh nein...“

 

„Oh ja“, murmelte sie und sah mich an.

 

„Ich wusste gar nicht, dass es das noch gibt.“ Ich sagte es mehr zu mir selbst als zu ihr und ich musste mich sehr zusammenreißen um nicht zu grinsen. Aber als ich ihren Blick bemerkte, war das Grinsen schnell verflogen. „Ich kann das erklären ...“, fügte ich schnell hinzu und sie rümpfte zweifelnd ihre Nase. Sie wartete bereits auf diese Erklärung. Das Problem an der Sache war nur, dass ich gelogen hatte. Ich konnte es nicht erklären. Sie hätte dieses Ding niemals finden sollen.

 

„Wie hast du das gefunden?“, fragte ich um noch etwas Zeit zu gewinnen. Ich musste mir wirklich eine gute Erklärung einfallen lassen. Aber sie kannte mich zu gut um mich damit durchkommen zu lassen. Sie würde nicht reden, solange ich nicht redete.

 

Ich atmete also ein letztes Mal tief ein. Es hieß nun Vogel friss, oder stirb.

 

„Vor einiger Zeit, vor einer sehr langen Zeit, habe ich eine Liste über dich erstellt“, erklärte ich und räusperte mich unsicher als sie kurz nickte.

 

„Das konnte ich mir schon denken. Aber ich verstehe es nicht. Warum hast du eine Liste mit den Sachen, die dir an mir gefallen?“ In diesem Moment sah sie wirklich einmalig süß aus und ich musste mich wieder zusammenreißen nicht zu grinsen. Das hätte wahrscheinlich alles noch schlimmer gemacht. Ihre großen mich anstarrenden, verwirrten Augen machten es mir jedoch mehr als schwer ernst zu bleiben.

 

„Ich habe die Liste geschrieben, nachdem du das erste Mal im Krankenhaus warst.“ Ich ließ die Sache mit Astrate absichtlich aus. Wir hatten dieses Thema nie mehr erwähnt, hatten diesen Namen aus unseren Gesprächen verbannt. Seit der Sache mit Maria existierte diese Frau nicht mehr. Aber Teti wusste genau, wovon ich redete, und ich merke an ihrem Blick, dass auch sie kurz zu dem abschweifte, an das keiner von uns erinnert werden wollte.

 

„Warum?“, fragte sie mit nun belegter Stimme. Ich verlagerte unsicher mein Gewicht. Wir waren mittlerweile so lange zusammen und es war nicht gerade angenehm, an unsere Anfänge zu denken. Natürlich machten wir ab und zu unsere Scherze darüber, aber wir hatten einen mehr als schwierigen Start gehabt.

 

„Teti, willst du wirklich darüber sprechen?“, fragte ich vorsichtig, denn ich war nicht der Meinung, dass es uns gut tun würde, wenn wir diese schwierige Zeit noch mal durchgingen. Teti hingegen, auf einmal von einer Sicherheit beflügelt, nickte.

 

„Ich will wissen, warum du das geschrieben hast, warum du diese Sachen ausgesucht hast.“ Und auf einmal verstand ich, was sie wollte. Sie verstand tatsächlich nicht, warum ich die Sachen aufgeschrieben hatte, die nun auf dem Zettel standen. Sie wollte wissen, warum ich mich für sie entschieden hatte.

 

Ich öffnete meine Arme und lud sie ein zu mir zu kommen und sie kam langsam zu mir. Es war einzigartig, besonders jetzt, wo ich diese alte Liste in meinen Händen hielt, eine Liste, die ich vor so vielen Jahren in einem Moment totaler Unsicherheit geschrieben hatte, erkannte ich, wie weit wir gekommen waren. Wie wir gegen alle Widrigkeiten gekämpft hatten. Ich hatte diesen Brief damals geschrieben, weil ich damals nicht wusste, was ich wirklich wollte und mir unsicher war, ob die Gefühle, die ich für sie hatte, echt waren. Und nun, 8 Jahre später, saß ich hier mit ihr in meinem Arm. Meine Frau, meine beste Freundin, sie war einfach alles für mich.

 

„Punkt eins“, las sie dann auf einmal vor. Ihr war es wirklich ernst. „Ihr Blick, wenn sie merkt, dass etwas geklappt hat, wie sie es wollte.“ Nun konnte ich mein Grinsen nicht mehr verbergen.

 

„Das ist einfach, denn das ist etwas, was ich immer noch an dir liebe. Wenn du etwas versuchst und es hinhaut, dann guckst du vollkommen erstaunt, so als hättest du es nie für möglich gehalten, dass es tatsächlich klappt. Ich werde nie das erste Mal vergessen, wo du so geguckt hast. Es war, nachdem wir uns in Queenstown das erste Mal getroffen hatten. Du hast gerade mit Dom und Billy ihren Text gelernt und hast versucht, authentisch dabei zu sein. Als die Jungs dann endlich wie Merry und Pippin antworteten, da strahlte dein Gesicht auf einmal.“ Ich merkte, wie sie ihr Gesicht in meiner Schulter vergrub und leise gluckste. Ja, sie konnte sich auch noch daran erinnern.

 

„Das war grausam“, murmelte sie, aber ich wusste, dass sie insgeheim rot wurde.

 

„Ach Quatsch, du warst wunderbar“, versicherte ich ihr und küsste ihre Haare. Ich merkte, wie sie mit ihren Fingerspitzen begann kleine Kreise um meinen Bauchnabel zu ziehen. Sie machte das mittlerweile schon unterbewusst. Jedes Mal, wenn sie sich wohl und geborgen fühlte und ich bei ihr war, machte sie das ohne es wirklich selbst zu bemerken, und dieser Punkt hätte definitiv auf der Liste gestanden, wenn ich sie zu diesem Zeitpunkt und nicht Jahre vorher geschrieben hätte.

 

„Punkt zwei“, fuhr sie fort, nachdem sie nun nicht mehr ihr Gesicht an meine Brust drückte, „Ihre Fähigkeit, die Ruhe zu bewahren.“

 

Auch das war ein relativ einfacher Punkt, aber es war schwer zu erklären, wie ich schon damals immer wusste wie es tief in ihrem Inneren aussah. Immerhin hatte ich es damals selbst nie verstanden.

 

„Das ist doch offensichtlich. Selbst, als ich dir damals bei unserem gemeinsamen Essen erzählt habe, dass ich heiraten wollte und dich - ich weiß wirklich nicht, was mich da geritten hat...“

 

„Spätjugendliche Dummheit?“, unterbrach sie mich bevor, ich meinen Satz beenden konnte und ich musste lachen.

 

„Vielleicht, ja. Auf jeden Fall, du hättest eigentlich ausrasten müssen. Ich hatte damit gerechnet. Und ich habe dir angesehen, dass du mir am liebsten eine gescheuert hättest, aber du bliebst ruhig und hast nur genickt, einfach nur genickt, weil du wusstest, dass Freunde nun einmal so etwas füreinander tun.“ Sie sah mir wissend in die Augen. Auch sie schien sich noch an diesen Abend erinnern zu können, an dem die damals noch verborgene Teti beinahe das erste Mal an die Oberfläche gebrochen wäre.

 

„Und damit kommen wir auch schon zu Punkt drei“, versuchte ich wieder auf die Liste zu lenken. „Ihre unerschütterliche Loyalität gegenüber ihren Freunden.“ Sie nickte und schien direkt zu wissen, was ich damit hatte sagen wollen. Anscheinend war das etwas gewesen, das sie selbst als eine ihrer guten Eigenschaften ansah. Deswegen las sie auch sofort den nächsten Punkt vor.

 

„Punkt vier: Ihre Aufrichtigkeit.”

 

Ich musste leicht lachen. Ja, man merkte, dass das Gespräch über meine geplante Hochzeit nicht weit von dem Zeitpunkt entfernt gewesen war, an dem ich diese Liste geschrieben hatte.

 

„Schon damals hast du dich nicht davor gescheut deine Meinung zu sagen, wenn du dir sicher warst, dass sie angebracht war. Ich meine, wer sonst würde einem Freund davon abraten eine Frau zu heiraten, die sein Kind unter dem Herzen trägt.“ Ich merkte wie wir beide kurz zuckten. Diese Frau hatte nie ein Herz gehabt und es war tatsächlich unmöglich sie aus dieser Liste herauszuhalten, hatte ich sie doch geschrieben um mir klar zu werden, welche der beiden Frauen besser für mich war. „Du bist am nächsten Morgen, direkt nach unserem gemeinsamen Essen, zu mir gekommen und hast mir gesagt, was du wirklich von meiner Idee hältst, und das war mehr als ehrlich.“

 

„Ich wollte dich schon damals nicht verlieren, auch wenn ich es mir selbst nicht eingestehen wollte. Ich war egoistisch“, erklärte sie etwas beschämt. Das konnte ich natürlich nicht zulassen. Ich nahm ihr Kinn und zwang sie sanft dazu mir in die Augen zu sehen.

 

„Teti, es war das Beste, das du hättest machen können. Und nur weil du auch wolltest, dass ich nicht heirate heißt das nicht, dass du egoistisch warst.“

 

„Aber“, wollte sie einwenden, doch ich legte meinen Zeigefinger auf ihren Mund. Niemals durfte sie sich deswegen schlecht fühlen.

 

„Es gibt kein ‚aber‘, Teti. Ich wollte selbst nicht heiraten. Ich habe mich dazu verpflichtet gefühlt und du hast mir klar gemacht, dass ich das nicht muss.“ Erstaunt sah sie mich an, anscheinend hatte sie das nie geahnt. Ich hatte eigentlich damit gerechnet, dass sie etwas sagte, mich vielleicht fragte, ob es bei unserer Hochzeit dasselbe gewesen war, ob ich mich auch nur verpflichtet gefühlt hatte, doch sie blieb still. Das einzige, was sie tat, war ungeschickt über meine Beine zu steigen um sich zwischen sie zu setzen. Dann lehnte sie ihren Rücken an meine Brust und nahm mir die Liste aus der Hand.

 

„Punkt fünf: Ihre Mimik“, sagte sie Nase rümpfend und drehte sich leicht, um mich ansehen zu können. „Den Punkt verstehen ich nicht.“

 

Ich musste wieder grinsen. Das war eigentlich mein liebster Punkt, der Punkt, der mich immer wieder an ihr begeisterte, selbst nach der langen Zeit. Ich sah in ihren Augen, dass sie es wirklich nicht verstand und es ließ mich sie nur noch mehr lieben, also beugte ich mich etwas nach vorne um sie zu küssen. Und da sah ich eine der Grimassen, die ich gemeint hatte. Bei solchen Küssen, bei denen wir beide etwas sagen wollten, ließen wir immer die Augen auf und unsere Gesichter waren sich so nah, dass sie verschwommen, aber dennoch konnte sie dabei nicht aufhören in den Kuss zu grinsen. Es war der süßeste ihrer Gesichtsausdrücke und er zog mich zu ihr wie eine Motte zum Licht. Ein anderer war ihr kopfschüttelndes Lachen wenn ich, albern wie ein kleiner Junge, mit Seth und seinen Lego-Figuren durch die Gegend lief und sie uns aus der Küche beobachtete.

 

Doch das, was mich dazu gebracht hatte das zu schreiben, war der Blick, den sie hatte, wenn sie vollkommen gedankenverloren vor sich hin starrte. Es war der erste Blick, mit dem sie mich angesehen hatte, als wir uns kennen gelernt hatten. Sie war gerade zusammen mit Seans Frau in das Restaurant in Queenstown gekommen, wo wir uns mit dem Cast getroffen hatten. Ihre tief braunen Augen hatten mich angesehen, doch ihr Geist, das hatte ich damals schon bemerkt, war irgendwo anders gewesen, und die kleinen Mundfalten, die sich nur bildeten, wenn sie versuchte ihr Lächeln zu unterdrücken, waren aufgetaucht.

 

Ich hätte wahrscheinlich noch mehrere tausend weitere Punkte gehabt mit Beispielen, bei denen ihre Mimik dazu geführt hatte, dass mein Herzschlag für einen Moment gestoppt hatte, wie es so seltsam und gleichzeitig wunderschön ihre Laune und ihre Gefühle widerspiegelte. Selbst als sie mich nun mit diesem kleinen Stirnrunzeln ansah, fühlte ich genauso wie damals als ich ihr sagte, dass nichts und niemand uns auseinander bringen konnte, damals noch als Freunde.

 

Aber das Problem an der ganzen Sache war, so viele Sachen mir auch einfielen, ich wusste nicht, wie ich ihr das hätte erklären können. Also flüsterte ich nur: „Ich liebe dich.“

 

„Du wirst es mir nicht erklären, oder?”, fragte sie und drehte dabei leicht ihren Kopf.

 

„Du wirst aufhören es zu machen, wenn ich dir das jetzt sage“, warf ich lächelnd ein und schüttelte meinen Kopf. Augenverdrehend schüttelte sie lächelnd ihren Kopf, ließ mich aber mit meiner Begründung davon kommen, um zum nächsten Punkt zu springen.

 

„Punkt sechs“, begann sie und lehnte sich wieder an meine Brust. „Ihre Leidenschaft für Filme. Das kenne ich doch schon“, bemerkte sie grinsend. Das stimmte, diesen Punkt kannte sie bereits. Ich hatte ihn ihr schon vor langer Zeit mitgeteilt. Die Erinnerung an genau diesen Tag ließ meine Laune noch mehr steigen und ich küsste ihren Nacken.

 

„Deine allseits präsente Liebe für Filme ist etwas, das mich dich jeden Tag mehr lieben lässt. Wenn du einmal selbst Hand an eine Szene anlegst, dann hast du die einmalige Fähigkeit, sie in etwas so Wunderschönes zu verwandeln, in etwas, das so sehr widerspiegelt wer du bist, das ist...“

 

„Etwas, das ich immer bewundern werde und es macht mich etwas eifersüchtig zu wissen, dass deine große Liebe immer die Filme sein werden, egal ob du sie dir nur ansiehst oder ob du selbst mitarbeitest“, beendete sie den Satz für mich und ich fühle wie ihre Schultern vor Lachen leicht bebten. „Ja, ich erinnere mich an deine Hochzeitsrede.” Natürlich schloss ich meine Arme noch fester um sie als ich merkte, wie sehr sie doch diesen Teil meiner Rede, und wahrscheinlich alles davon, noch so genau wiedergeben konnte. Immerhin waren seitdem 7 Jahre vergangen.

 

„Und nun muss ich mich mit dem dritten Platz zufriedengeben.“

 

„Egal wie unwahrscheinlich dir das auch vorkommen mag, ich werde dich immer mehr lieben als Filme. Filme sind fiktiv, du bist mehr als real, und du bist IN Filmen“, erklärte sie lachend und ich küsste sie. Dann nahm sie meine Hand von ihrer Schulter und legte sie auf ihren geschwollenen Bauch, um mich die Tritte unter ihrer Haut spüren zu lassen.

 

„Davon werde ich nie genug bekommen“, murmelte ich im Kuss.

 

„Na ja, wenn du in Betracht ziehst, dass dieses kleine Wunder sich nun den ersten Platz mit deinem Sohn teilt, solltest du wahnsinnig eifersüchtig sein“, gluckste sie fröhlich. Ihre Augen strahlten bei dem Gedanken, was da gerade gut behütet in ihr heranwuchs.

 

„Warum bist du eigentlich hier oben? Du bist im 7. Monat, du hättest dich und das Baby verletzten können“, warf ich dann etwas besorgt ein. Sie verdrehte nur wieder ihre Augen und ich wusste schon, was sie sagen würde.

 

„Ich bin schwanger, nicht tot krank. Ich wollte schon einmal anfangen das Zimmer zu streichen, und da brauchte ich die Farbrollen“, versuchte sie zu erklären, aber um ehrlich zu sein fand ich es sehr unverantwortlich, was sie gemacht hatte.

 

„Du hättest auf mich waren sollen. Ich hätte dir alles geholt, was du gebraucht hättest. Der Arzt hat es mehr als deutlich gemacht, dass du Bettruhe brauchst. Was, wenn dein Kreislauf wieder abgesackt wäre?“, fragte ich und sie sah etwas betroffen zu Boden. Ich konnte mir vorstellen wie schwer es für sie war, den ganzen Tag nichts anderes zu tun als auf dem Sofa zu liegen und Fernzusehen, aber ich wollte nicht schon wieder wegen eines Kreislaufkollaps mit ihr ins Krankenhaus fahren. Meiner Meinung nach hatte sie schon viel zu viele Krankenhäuser von innen gesehen. „Außerdem wollten wir das Kinderzimmer doch zusammen streichen.“

 

„Mir war langweilig“, jammerte sie wie ein kleines Kind, „Ich habe hier einfach nichts zu tun und ich wollte mir nicht schon wieder diese Reality Show ansehen. Ich dachte, ich mache dir eine Freude wenn ich schon einmal damit anfange.“ Ihr Blick, der mich sehr an einen Dackel erinnerte, der genau wusste, dass er etwas falsch gemacht hatte, ließ meinen Ärger vergehen. Ich konnte einfach nicht lange böse auf sie sein, das war ein Ding der Unmöglichkeit.

 

„Wie lange warst du denn hier oben?“

 

„Keine Ahnung, wie spät ist es denn?“, fragte sie und stand vorsichtig auf.

 

„Kurz vor sechs, denke ich.“

 

„Dann müssen es so drei Stunden gewesen sein.“ Ihr Ton war eher beiläufig und ich seufzte verständnislos. Sie musste doch sicherlich schon eine Weile auf Toilette und hatte nur nicht mehr herunter gehen können ohne Hilfe. Bevor wir jedoch den Weg nach untern antraten schnappte sie sich noch schnell die Liste und steckte sie in die Tasche ihres Bademantels. Natürlich verschwand sie sofort auf der Toilette und ich entschied mich ihr in der Zwischenzeit einen Tee aufzukochen, immerhin musste ihr sehr kalt sein.

 

Es war komisch gewesen. Hatte ich zu Anfang noch gedacht, es wäre eine schlechte Idee, unsere doch etwas chaotischen Anfänge zu durchleuchten, so war doch etwas Wunderbares daraus geworden. Es waren immerhin unsere Anfänge gewesen und ohne sie hätten wir auch niemals das gehabt, was wir nun hatten.

 

„Egal wie sehr ich dieses Kind liebe, noch mal werde ich das nicht machen. Eins ist genug. Wir haben unseren Wunsch erfüllt, aber das war’s“, stöhnte sie geräuschvoll als sie nun ins Wohnzimmer kam.

 

„Ich hätte gerne eine ganze Fußballmannschaft von kleinen Tetis, nicht nur eine“, bemerkte ich und ihr Blick hätte nicht geschockter sein können.

 

„Wenn du diese Fußballmannschaft selbst neun Monate in dir herumträgst, gerne. Aber meine Gebärmutter ist Sperrzone“, murmelte sie etwas mürrisch über den Rand ihrer Teetasse. Und wieder einmal ein Blick, den ich an ihr liebte. Sie hatte ihn erst seitdem sie Schwanger war, aber es war ein Blick, der mir sagte, dass sie sich freute, auch wenn ihre Hormone gerade mehr als verrückt spielten.

 

„Warte nur ab. Das wird nicht das letzte Mal sein, dass du morgens einfach umwerfend aussiehst, wenn du dein Müsli auf deinem Bauch abstellst.“ Und schon kam ein Kissen in meine Richtung geflogen. Ich wusste, dass sie nicht mochte, wenn ich erwähnte, wie groß ihr Bauch war, war sie doch eigentlich immer eine recht dünne Frau gewesen. Nun, oder zumindest seit 2 Monaten, fühlte sie sich nur noch dick und da der Bauch die nächsten zwei Monate immer noch weiter wachsen würde, würde es auch nicht besser werden.

 

„Ich denke, es ist besser, wenn du anfängst zu Kochen, Mister!”

 

Da hatte sie Recht. Seth würde jeden Augenblick von seinem Freund nach Hause kommen und wir alle waren mehr als hungrig. Seth war noch so eine Sache, die ich an ihr bewunderte und ich kam nicht herum sie von der Küche aus anzustarren. Die letzten Jahre hatte ich mich immer wieder gefragt wie sie es geschafft hatte, so viel Liebe für Seth aufzubringen. Bereits seit dem ersten Tag hatte ich geahnt, dass sie eine bessere Mutter für ihn sein würde als seine eigentliche Mutter, und ich hatte Recht behalten.

 

Seth hatte die Geschichte von seiner Mutter vor 3 Jahren erklärt bekommen und seitdem wollte er nichts mehr von ihr hören. Er hatte sogar damit begonnen Teti „Mom“ zu rufen und wir hatten es zugelassen. Waren wir früher noch überzeugt gewesen, wir könnten es nicht zulassen, damit er nicht vergaß, dass Teti nicht seine leibliche Mutter war, hatten wir unsere Meinung geändert. Es war seine eigene Entscheidung gewesen und die respektierten wir. Es hatte Teti damals die Tränen in die Augen getrieben als er am Morgen nach unserem Gespräch nach untern gekommen war und „Morgen Dad, morgen Mom“ gesagt hatte. Sie hatte den ganzen Tag nicht aufgehört zu lächeln.

 

„Wo ist denn die Kontra-Liste?“, holte mich Teti dann aus meinen Gedanken.

 

„Wie bitte?“

 

„Das ist doch so eine Art Pro-Liste, eine Liste pro Teti. Also muss es doch auch eine kontra Teti-Liste geben“, sagte sie mit einem erwartenden Blick. Ich musste schlucken. Ich wusste, dies konnte einer der Momente werden, in dem Tetis hormongefüllter Kopf, mit dem sie mich neuerdings schockierte, etwas total falsch verstehen könnte, und ich hatte ein schlechtes Gefühl.

 

„Es gibt keine“, versuchte ich vorsichtig einzulenken, aber Teti hob nur eine zweifelnde Augenbraue. „Okay, nun ja … es gibt keine mehr … ich habe sie verbrannt.“

 

„Warum?“

 

„Weil …“ Ich wankte einen Moment und drehte mich dann um, damit sie mein Gesicht nicht sah. „Ich konnte keine schreiben.“ Ich verzog meinen Mund in der Erwartung, dass gleich ein Donnerwetter losgehen würde, aber nein, Stille.

 

„Was?“, fragte sie dann nach einem Moment skeptisch lachend. Ich drehte mich zu ihr um und sah sie abschätzend an.

 

„Ich konnte keine schreiben“, wiederholte ich meine Worte und als sie merkte, dass ich das wirklich ernst meinte, verschwand ihr skeptischer Blick. Natürlich verschwieg ich ihr, dass genau das überhaupt der Grund gewesen war, diese Pro-Liste zu schreiben.

 

An dem Morgen, an dem Teti damals aufgelöst zu mir gekommen war und mich, für Teti eher ungewöhnlich, angeschrien hatte, wie ich denn auf die Idee käme sie als Treuzeugin zu nehmen, wenn ich doch wissen müsste, dass sie vollkommen gegen diese ‚Zwangsheirat‘ war, hatte ich mich mit Viggo zum Frühstück verabredet. Ich erklärte ihm, was passiert war und er hatte nur den Kopf geschüttelt und gemeint, er wäre sich sicher, ich wüsste nicht, was ich wollte. Natürlich hatte er recht und ich fragte ihn um Rat. Da war er mit der Idee gekommen eine Liste zu erstellen. Er wollte, dass ich meinen Frust, das, was mich an Teti ärgerte, niederschrieb, damit es mich nicht belastete. Er war sich sicher, dass ich dann einen freien Kopf hätte um das zu sehen, was wirklich wichtig war.

 

Und das hatte ich. Ich hatte gesehen, dass ich nichts Schlechtes an Teti finden konnte, selbst nach dieser Tirade. Mir waren nur positive Sachen eingefallen und dann hatte ich mich entschieden diese Liste zu schreiben. Ich hatte sie danach Viggo gegeben, damit weder meine damalige Verlobte, noch Teti sie jemals finden würden.

 

Vor unserer Hochzeit, als ich jedoch nach Worten suchte, um meine Rede zu formulieren, hatte er sie mir wiedergegeben. Er hatte gehofft, dass sie meine Fantasie beflügeln würde, und das hatte sie getan.

 

„Aber, aber Orlando, als du das geschrieben hast, da …“ Sie war mehr als sprachlos und das kam nicht oft vor.

 

„Ich weiß.“

 

„Ich war schrecklich zu dir.“

 

„Ich weiß“

 

„Du sagst also, dass du diese Liste geschrieben hast, als du sauer auf mich warst, aber du hast nichts Schlechtes über mich finden können?“, fragte sie ungläubig. Anscheinend konnte sie sich wirklich nicht vorstellen, warum ich nichts hatte schreiben können.

 

„Ich war nicht sauer auf dich“, versuchte ich ihr zu versichern, aber ich sah an ihrem Blick, dass sie mir nicht glaubte. Mich ergebend erhob ich meine Hände. Ich wusste einfach nicht, was ich sonst noch tun sollte. Sie glaubte mir einfach nicht. „Du hattest alles Recht der Welt wütend auf mich zu sein. Ich war wütend auf mich selbst, dass ich dich überhaupt gefragt habe, meine Trauzeugin zu sein.“

 

Sie stand vom Sofa auf und kam langsam zu mir, ohne auch nur ihren Blick abzuwenden. Ihre Augen sahen mich so verwundert an, strahlten mich bewundernd an. Ohne ein weiteres Wort zog sie mich zu sich heran, als sie nah genug war, und küsst mich mit einer tiefen Leidenschaft, die ich trotz unserer innigen Liebe füreinander selten gespürt hatte.

 

Natürlich war es mehr als komisch, wenn man bedachte, dass zwischen ihr und mir gerade unser Baby unter ihrer Haut ruhte, aber ich konnte nicht anders und küsste sie mit derselben Leidenschaft zurück.

 

„Ich liebe dich“, versuchte sie atemlos zu hauchen als sie sich wieder an mich drückt. Ich sah sie an und erkannte in ihren Augen dasselbe Verlangen und die Liebe, die auch mich gerade erfüllten.

 

„Teti …“, wollte ich gerade noch einlenken als sie mein Hemd langsam aufknöpfte, aber meine Worte verloren sich in ihrem Kuss auf meinem Schlüsselbein. Verdammt, sie kannte mich einfach zu gut. Dann zog sie langsam an meinen Fingern und führte mich aus der Küche in Richtung Treppe. Ihr Blick, als wir dort ankamen, ließ mein Herz für einen Moment still stehen und ich hob sie auf meinen Arm, so als wollte ich sie nochmals über die Schwelle tragen. Sie schrie einen Moment erschrocken auf, als ihre Füße vom Boden abhoben, aber ich lief mit ihr so schnell die Treppen hoch zu unserem Schlafzimmer, dass ihr nicht lange Zeit blieb erschrocken zu sein. Als ich sie auf die Matratze unseres Bettes legte, meine Finger über ihren Körper wandern ließ und ihren Nacken küsste, flüsterte ich ihr den letzten Punkt der in der Küche vergessenen Liste ins Ohr.

 

„Punkt sieben: Wie sie es immer wieder schafft mir den Atem zu rauben.“

 

 

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