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Lifesaver

 

 

 

 

Gedankenverloren und unsicher was er tun sollte, saß Frodo in seinem kleinen Schreibzimmer und blickte auf das geschlossene Buch vor ihm. Es war ein dickes, rotes Buch in einem ledernen Einband und es lag mit der Rückseite nach oben auf dem Tisch.

 

Er streckte sich einen Moment, doch als er das tat, spürte er den stechenden und ziehenden Schmerz der durch seine Schulter schoss. Egal wie lange es schon her war, es würde nie vollkommen verheilen, es würde nie wieder so sein wie noch vor einigen Jahren. Er verstand seinen alten Onkel Bilbo nun. Verstand, warum der alte Hobbit sich immer wieder danach gesehnt hatte zu reisen, Hobbingen und das Auenland hinter sich zu lassen.

 

Auch er sehnte sich nun nach den Bergen des Nebelgebirges, nach einem neuen Abenteuer, dass ihn aus seinem tristen Alltag hier im Auenland holte. Selbst wenn es nur eine Reise nach Bruchtal war, es würde immer noch ein Abenteuer für ihn sein und er würde seinen Onkel wiedersehen können, den er sehr vermisste.

 

„Herr Frodo!“, riss ihn eine aufgeregte Stimme aus seinen Gedanken. Es war Sam, sein guter, alter Freund Sam. Er war schon lange mit diesem wunderbaren und liebenswürdigen Hobbit befreundet, aber die tiefe Freundschaft und brüderliche Liebe war erst durch ihre gemeinsame Reise entstanden, die Reise bei der beiden nicht gewusst hatten, ob die jemals wieder das Auenland sehen würden.

 

„Beruhige dich, alter Freund. Und nenne mich nicht immer ‚Herr‘ Frodo.“, ermahnte Frodo ihn und erhob sich langsam, um mit seinem Freund auf einer Augenhöhe zu sein. „Wir haben soviel gemeinsam erlebt, ich bin schon lange nicht mehr dein Herr.“ er merkte wie Sam beinahe beschämt zu Boden blickte. Anscheinend konnte er seine eigene Rolle während des ganzen Ringkrieges noch immer nicht so sehen wie sie wirklich gewesen war. Frodo hingegen hatte durch das Schreiben seines Buches mehr verstanden als jemals zuvor. Er war sich nun noch bewusster geworden, dass er ohne Sam, ohne seine Hilfe und dessen Willen alles zum Guten zu wenden, sicherlich den Ring nicht zerstört hätte. Der fehlende Finger an seiner Hand war der beste Beweis dafür.

 

„Du wirst immer Herr Frodo für mich bleiben, egal was noch passieren mag.“, sagte Sam mit einem trotzigen lächeln, dann blickte er auf das zugeklappte Buch. Langsam ging er darauf zu und strich über den ledernen Einband. Frodo beäugte seinen Freund genau und konnte sich denken, dass er gerade von Erinnerungen übermannt wurde.

 

Er selbst hatte diese Erfahrungen mehrmals gemacht während er seine Geschichte geschrieben hatte und manchmal hatte er abbrechen müssen, aus schierer Angst die Verzweiflung könnte wieder in ihn zurückkehren.

 

„Du bist fertig?“, fragte Sam vorsichtig und drehte sich wieder zu seinem Freund um. Er erkannte genau, dass sein alter Herr angeschlagen und traurig aussah, wahrscheinlich hatte ihn das schreiben des Buches und dessen fertigstellen viel Kraft gekostet. Frodo nickte nur und klopfte Sam freundschaftlich auf die Schulter, um ihn davon abzuhalten Fragen zu stellen auf die er keine Anwort haben würde. Er wusste nicht, was nun mit diesem Buch passieren sollte, ob es überhaupt jemand lesen sollte. Vielleicht hatte es Frodo auch nur dazu gedient das Erlebte endgültig zu verarbeiten, um loslassen zu können und endlich normal weiterzuleben.

 

„Was war denn so wichtig, dass du einfach so hereingestürmt bist?“, fragte Frodo dann, um vom Thema abzulenken und ging langsam mit Sam in Richtung der Küche. Es war Zeit für etwas Tee und Kuchen.

 

„Ein Brief ist für dich angekommen. Der alte Sandigmann hat ihn mir gegeben.“, erinnerte sich Sam wieder an den Grund für sein kommen und holte vorsichtig einen Umschlag aus seiner Manteltasche. Er war etwas zerknittert und Sam versuchte unter dem leichten Gelächter Frodo‘s vergeblich ihn zu glätten.

 

„Ist schon gut, gib ihn mir.“, lachte Frodo vergnügt. Ja, Sam verstand es immer wieder ihn aus einer schlechten Phase zu holen. Dann reichte Sam seinem Freund den Brief und setzte sich ebenfalls auf eine der Bänke und nahm sich eine Tasse Tee und ein Stück von dem Kuchen den Frodo angerichtet hatte. Er wusste es war unhöflich, aber am liebsten hätte Sam Frodo gefragt was in seinem Brief gestanden hatte, denn die Augen des mittlerweile nicht mehr so jungen, dunkelhaarigen Hobbits schienen immer größer zu werden.

 

Frodo konnte seinen Augen nicht glauben. Das was er da las, war ein einmaliges Angebot. Es war ein neues Abenteuer, ein Abenteuer das sein Leben wieder verändern konnte. Er sah seinen alten Freund Sam einen Moment an. Er wusste genau was er sagen würde. Wahrscheinlich würde er ihm den Brief förmlich aus der Hand reißen und ihm sagen, dass er erst gar keinen Gedanken daran verschwenden solle, dass er Sam, alles tun würde um ihn daran zu hindern.

 

Und genau aus diesem Grund, auch wenn es ihn schmerzte, faltete er den Brief einfach zusammen und stopfte ihn sich in die Tasche. Er war froh, dass Sam zu anständig war um ihn neugierig zu fragen was in dem Brief geschrieben stand, denn er wusste nicht, ob er es dann vor seinem Freund hätte geheimhalten können.

 

Sam hatte in der Vergangenheit so viel für ihn getan, hatte ihn so oft vor vollkommen verrückten Ideen beschützt und ihm mehr als einmal das Leben gerettet. Schon damals hatte er sich gefragt, warum Sam immer wieder an seiner Seite geblieben war, warum er nicht einfach bei den anderen geblieben war als Frodo sich bei den Rauros-Fällen entschlossen hatte alleine nach Mordor zu ziehen.

 

Nein, Sam war ihm gefolgt und hatte ihn dabei auch noch vor dem Ertrinken gerettet, hatte ihn aus dem Wasser gezogen, obwohl er selbst nicht schwimmen konnte. Er hatte ihm auf der ganzen Reise, die die beiden alleine unternommen hatten bei Laune gehalten, hatte ihm selbst in den Hoffnungslosesten Momenten Mut gemacht und ihn vor allem Übel beschützt. Er hatte so viel aufgegeben in dieser Zeit, nur um seinen ‚Herrn‘ zu beschützen, dabei hatte Frodo nie Sams Herr sein wollen.

 

„Sam ich möchte dir danken.“, sagte Frodo dann nach einer weile Ruhig. Er wusste, wenn alles so lief, wie Herr Elrond geschrieben hatte, dann würde er nicht mehr lange Zeit haben, um sich bei seinem alten Freund und Wegbegleiter zu bedanken. Sam wollte schon protestieren, wie es nun einmal seine Art war, aber Frodo lies es nicht zu. Er erhob nur seine Hand und bat seinen Freund damit ihn ausreden zu lassen.

 

„Ich glaube nicht, dass dieser Krieg so ausgegangen wäre wie er ausgegangen ist, hätte es dich nicht gegeben Samweis. Die Elben ehren ihre Helden immer in einem Lied, und auch du bist so ein Held, dem es gebührt, dass für ihn ein Lied gesungen wird.“

 

 

Ich fühlte mich als würde ich aufgeben

Aber du warst mein Antrieb

 

Du gabst niemals auf

Begegnetest all meinen Flammen

Ich brauchte niemanden außer dich

Darum sage ich

 

Sam, mein Freund, du streckst deine Hand aus

Ich nehme sie wie ein Ruder aus der Tiefe

Hey, Lebensretter, ich ertrank in der Verzweiflung

Aber du hast für mich bis ans Ende gekämpft

Du zogst mich zurück ans Land und rettetest mich ein weiteres Mal

 

Du hilfst mir beim Vergessen

Der irren Fehler die ich gemacht habe

Und ich sehe es in deinem Gesicht

Die einzige Quelle von Anmut

 

Nein, ich nehme sie nicht als gegeben an

Die ganze Zeit, die du verschwendet hast

Die Opfer die du für einen Dummkopf gebracht hast

 

 

Frodo sah die Tränen in den Augen seines Freundes und er freute sich, dass ihm das Lied gefiel, auch wenn er nicht gerade der beste Sänger war. Wahrscheinlich hätte dieses Lied sich besser angehört wenn es von einem der Elben aus Elronds Haus gesungen worden wäre, aber das war nicht dasselbe.

 

„Ich würde es immer wieder tun, Herr Frodo.“, sagte Sam und betonte seine letzten Worte extra und dann saßen die beiden sich schweigend gegenüber.

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