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First Kiss

 

 

 

Gleichmäßig hallten die Schritte der roten Wildlederpumps durch den spärlich bestückten Raum. Hier sah es aus wie in einer Lagerhalle, und das war es ja eigentlich auch. Zumindest stand es draußen über dem großen Tor. Überall standen Kisten herum, die mit den verschiedensten Waren gefüllt waren. Die Decken des Raumes waren hoch und wahrscheinlich war der Lagerraum noch verhältnismäßig leer und man hatte ihn nur deswegen für dieses Vorhaben mieten können. Man konnte bei keiner Kiste genau definieren, was sich darin befand, aber alleine darüber nachzudenken lenkte schon von der äußerst seltsamen Situation ab, in der ich mich befand.

Warum mache ich das hier eigentlich?, fragte ich mich beinahe genervt, als ich mir immer noch einen Weg durch die Massen an Kisten bahnte, auf der Suche nach der Person, mit der ich mich hier treffen sollte. Dann erinnerte ich mich wieder an den Grund. Der ziemlich wundersame Freund meiner Mutter, ein Alter, den wir nur unter seinem Spitznamen Gandalf kannten, hatte mich gebeten, ihm diesen Gefallen zu tun. Er hatte etwas von einer einmaligen Chance und einem Abenteuer geredet, und dass ich genau die Richtige dafür wäre.

Ich war mir da allerdings nicht so sicher. Dieses Abenteuer, von dem der alte Mann da geredet hatte, war eher etwas für waghalsige, hemmungslose Typen, aber das war ich eindeutig nicht. Ich war in gewisser Hinsicht verschlossen und tat eigentlich nie etwas Unüberlegtes. Um ehrlich zu sein konnte man mich wohl mit Fug und Recht berechenbar nennen und das fand ich noch nicht einmal schlimm. Aber das, was ich hier nun in wenigen Minuten machen würde, das war alles andere als berechenbar und schon gar nicht überlegt.

Als ich dann um die nächste Ecke bog, der Boden ließ meine ziemlich hohen Schuhe immer noch laute Geräusche machen, sah ich dann einen riesigen Ständer, der eine Leinwand hielt. Davor saß ein etwas älterer, etwas seltsam aussehender Mann.

„Hi! Du bist sicher auch für das Projekt meiner Schwester hier“, begrüßte er mich und ich musste zugeben, dass mich seine Aussage zweifeln ließ, ob ich hier richtig war. Seine Schwester? Er war mindestens Mitte Fünfzig, aber Gandalf hatte mir gesagt, dass die Künstlerin, die sich diese ganze Sache ausgedacht hatte, etwas jünger war als ich. Und ich war gerade erst 30 geworden.

„Ich… weiß nicht“, stammelte ich daher etwas unsicher und war schon kurz davor wieder zu gehen. Das hier war eine wunderbare Ausrede einfach abzuhauen. Wenn Gandalf mich fragen würde, dann würde ich ihm einfach sagen, ich war zum falschen Lagerhaus gegangen.

„Ich bin Dorian, aber nenn mich ruhig Dori. Meine Halbschwester Orianna ist gerade noch mit dem vorletzten Paar beschäftigt. Unser Cousin, dein Partner, ist auch noch nicht da. Er hat gerade angerufen, er wurde aufgehalten“, erklärte der Mann freundlich grinsend und bot mir dann für die Wartezeit noch einen Kaffee an. Ich lehnte allerdings dankend ab. Warum war mir das nicht eingefallen? Warum hatte ich hier nicht einfach angerufen und gesagt, dass ich im Stau stand oder ähnliches? Vielleicht hätten sie sich dann doch noch jemand anderen gesucht.

Als der kleine, ziemlich seltsame Mann dann für einen Moment auf der anderen Seite der Leinwand verschwand und ich leises Gemurmel hörte, überlegte ich noch ein letztes Mal umzudrehen, aber wahrscheinlich wollte irgendetwas tief in mir dieses Abenteuer bestreiten, denn irgendetwas hielt mich davon ab einfach zu verschwinden.

„Hi! Du musst Belladonna sein!“, begrüßte mich dann auf einmal eine junge Frau. Sie konnte höchstens 25 Jahre alt sein. Fröhlich streckte sie mir die Hand entgegen und bedanke sich bei mir, dass ich ihr Projekt gerettet hatte.

„Belladonna heiße ich nur, wenn ich etwas angestellt habe. Nenn mich Bilbo“, sagte ich, als ich ihre Hand nahm.

„Ich bin Ori. Wie kommst du zu so einem Spitznamen?“, fragte sie dann, während eine ältere Frau und ein Mann an uns vorbeigingen. Sie schienen ziemlichen Spaß gehabt zu haben, denn sie unterhielten sich lachend miteinander, während sie das Lager verließen.

„Um ehrlich zu sein habe ich keine Ahnung“, gab ich zu. Ich wusste es wirklich nicht genau. Ich wusste nur, dass meine Freunde in der Schule mich irgendwann so genannt hatten, als ich sie bat, mich nicht mehr Bella zu nennen.

„Ist ja nicht schlimm“, lächelte mich die junge Frau an. „Mein Bruder hat dir, denke ich, schon Bescheid gesagt, dass dein Partner etwas länger braucht. Ich hätte mir das denken können, er ist nie pünktlich. Seine Firma hält ihn immer auf“, entschuldigte Ori die etwas längere Wartezeit. Dann ging sie mit mir schon einmal auf die andere Seite der Leinwand und erklärte mir alles. Anscheinend brauchte sie für ihr Kunststudium ein besonderes Stück und da sie nebenbei auch noch Soziologie studierte, hatte sie die Idee dieser künstlerischen Studie gehabt.

„Also, wenn mein Cousin hier eintrifft, wird mein Bruder Dori ihn herbringen. Sobald ihr beide dann vor der Leinwand steht, stelle ich die Kamera einfach an. Der Sinn dieser ganzen Sache ist, herauszufinden, wie vollkommen Fremde reagieren, wenn sie einander das erste Mal sehen und sich direkt küssen.“

Ich nickte kurz, so viel hatte Gandalf mir auch erzählt. Ein kurzer Kuss und fertig.

„Studien behaupten, dass bei solchen Berührungen unsere ureigenen Instinkte freigesetzt werden, zumindest wenn unser Gegenüber uns in gewisser Weise anspricht“, erläuterte sie weiter. „Deswegen nützt auch ein einfacher Schmatzer nichts. Es muss schon etwas… mehr sein, wenn du verstehst, was ich meine?“ Ori sah beinahe etwas peinlich berührt aus und ich ahnte, dass es an meinem entsetzten Blick lag. Hatte sie gerade tatsächlich angedeutet, dass ich hier, vor laufender Kamera, mit einem wildfremden Typen, der anscheinend auch noch mit ihr verwandt war, rummachen sollte?

„Gandalf hat dir nichts gesagt, oder?“, fragte sie zögerlich und ich schüttelte nur den Kopf, zu mehr war ich gerade nicht mehr im Stande. Doch bevor ich es mir noch anders überlegen konnte, hörte ich auch schon in einiger Entfernung weitere Schritte durch das Lager hallen und ich war mir sicher, dass das mein „Partner“ war.  „Das ist typisch. Also, nur zu deiner Information: hier waren schon 9 andere Pärchen, die das gemacht haben. Sie alle waren erst etwas unsicher, aber am Ende hatten sie ihren Spaß dabei. Wir haben die einzelnen Paare nach bestimmten Kriterien zusammengestellt, in der Hoffnung, dass der gewisse Funke überspringt.“

„Der Funke überspringt? Das ist hier aber jetzt kein versteckter Versuch, mir einen Mann zu suchen, oder? Steckt meine Mutter dahinter?“, fragte ich etwas genervt. Meine Mutter hatte schon einiges angestellt, damit ich endlich einen Mann fand, aber das ging wirklich etwas zu weit. Anscheinend hatte ich Ori mit dieser Aussage, oder besser gesagt mit der Art, wie ich es gesagt hatte, etwas verschreckt, denn sie schüttelte nur unsicher den Kopf und versicherte mir, dass nichts dergleichen der Fall war.

„Und warum hat ihr niemand Bescheid gesagt?“, donnerte ein tiefer Bariton hinter der Leinwand und kam dann durch den kleinen Schlitz, durch den auch ich gekommen war. Der etwas wütende Blick in  dem Gesicht mir gegenüber war einschüchternd.

„Anscheinend hielt der alte Gandalf es nicht für nötig, jemandem meine Nummer zu geben“, kommentierte ich und verschränkte meine Arme vor der Brust. Das war meine natürliche Reaktion auf unerfreuliche erste Begegnungen. Aber zu meinem großen Erstaunen glättete sich das Gesicht vor mir mit einem Mal, als hätte er vorher gar nicht bemerkt, dass ich tatsächlich schon hier stand. Dann kam er auf mich zu und seine Größe alleine war schon beeindruckend. Selbst mit meinen ziemlich hohen Pumps war er noch einen ganzen Kopf größer als ich.

Er musste mindestens 1,80 m groß sein, wahrscheinlich fast 1,90 m, wenn ich das richtig einschätzen konnte. Selbst mit diesen Pumps, meine höchsten, war ich gerade einmal  1,75 m groß. Was mir direkt auffiel, waren seine hellen, beinahe blau-grauen Augen, die zwar eine gewisse Rundung hatten, aber keineswegs zu groß oder geschwungen aussahen. Der dichte Vollbart nahm seinem Gesicht etwas die Schärfe, ließ ihn aber, was nicht bei vielen Männern der Fall war, reifer und seriöser wirken. Wahrscheinlich hätte er ohne diesen Bart ganz anders ausgesehen. Viele Männer, die sich einen Bart stehen ließen, scherten sich später nicht sonderlich um dessen Pflege. Mein Gegenüber war anscheinend eine rühmliche Ausnahme. Sein Bart war akkurat getrimmt, die Konturen eindeutig festgelegt und nicht eines der kurzen, dichten Härchen tanzte aus der Reihe.

„Noch nie einen Mann mit Bart gesehen?“, fragte er. Hätte ich nicht immer noch auf seine Mundpartie gestarrt, ich hätte bei seinem immer noch etwas grimmigen Ton sicherlich kein Schmunzeln vermutet. Und damit lenkte er meinen Blick auf seine schmalen Lippen. Vielleicht lag es am Bart darüber, aber bei diesem Schmunzeln war die Oberlippe kaum noch zu erkennen.

Leider war mein Kopf zu sehr damit beschäftigt, über die einzelnen Vorzüge des Gesichtes zu philosophieren, als eine vernünftige, überlegte Antwort herauszubringen. Und so hörte ich mich nur ein „Noch nie einen so wunderbar gepflegten“ antworten und schlug noch im selben Augenblick erschrocken die Hände vor den Mund. Das hatte ich wirklich nicht sagen wollen. Gedacht hatte ich es zwar, aber seit wann konnte ich mich so schlecht beherrschen, dass ich auch direkt sagte, was ich dachte?

„Nein, nein, das ist gut!“, lenkte Ori schnell ein, als sie merkte, dass ich etwas unsicher wurde, und ich sah meinem Gegenüber wieder ins Gesicht. Er schmunzelte immer noch, aber diesmal hatte es auch seine Augen erreicht. Sie waren von kleinen Lachfalten umgeben, wie das nun einmal war, wenn man keine Zwanzig mehr war. „Sprecht etwas miteinander, sagt genau, was ihr denkt, macht euch gegenseitig ehrliche Komplimente. Ihr werdet einander wahrscheinlich hiernach sowieso nie wieder über den Weg laufen. Außer, ihr wollt es“, gab Ori uns eine Entschuldigung, endlich einmal ohne Angst vor Zurückweisung das zu sagen, was man dachte. Und sie hatte vielleicht sogar Recht damit, aber es war trotzdem ziemlich schwer, altgewohnte Verhaltensweisen plötzlich abzulegen.

„Ich glaube, meine einfallsreiche Cousine hat vergessen, mich vorzustellen.“ Seine Stimme war nun um einiges leiser und angenehmer als vorher und er war wieder einen Schritt näher auf mich zugekommen. Ich musste zugeben, dass mir auch seine donnernde Stimme in gewisser Weise gefallen hatte. Ich mochte es, wenn der Mann stark war und mich im Notfall beschützen konnte, auch wenn ich das niemals zugegeben hätte.

„Und ich mag es, wenn sich eine Frau ab und zu beschützen lässt. Aber wir waren noch bei meinem Namen", sagte er nun etwas amüsiert. Was zum Teufel war nur mit mir los? Hatte ich das wieder laut gedacht? Warum hatte ich auf einmal diesen Sprechdurchfall, wie meine Cousine Prim es immer nannte? „Ich bin Thorin, Thorin Durinsson.“

Er streckte mir seine Hand entgegen und ich wunderte mich, wie klein und zierlich meine Hand in seiner aussah, als ich sie nahm. Es war seltsam, aber irgendwie passte der Name zu ihm. Seinem Nachnamen zufolge stammte seine Familie wohl ursprünglich eher aus Skandinavien als aus England, auch wenn man das seinen braunen Haaren nicht ansah. „Bilbn“, antwortete ich und er sah mich einen Moment etwas verwundert an. Erst da bemerkte ich, dass ich ihm nur meinen Spitznamen, aber nicht meinen richtigen Namen genannt hatte. „Ich meine, so nennen mich die meisten. Eigentlich heiße ich Belladonna Baggins.“

„Belladonna, ein sehr schöner, aber seltener Name“, bemerkte er und hielt meine Hand immer noch in seiner.

„Ich könnte auch nicht sagen, dass ich Thorin schon oft gehört hätte“, gab ich leicht lächelnd zurück. Ich merkte, dass seine Handfläche leicht feucht war und ich meinte sogar ihn leicht zittern zu spüren. „Auch etwas nervös, oder? Ist eine ziemlich seltsame Situation.“ Er nickte nur glucksend und sah seine Cousine mit einem etwas grimmigeren Blick und der Bemerkung, was man nicht alles für die Familie tat, an.

Dann sah er wieder mich an und es schien so, als würde er mich mustern, mich genau ansehen. Es war seltsam, denn normalerweise mochte ich es nicht, wenn Männer mich so von oben bis unten betrachteten. Meistens hieß das nicht Gutes, aber bei meinem Gegenüber war die leichte Gänsehaut, die mich unter seinem Blick überlief, kein schlechtes Zeichen.

„Deine Haare sehen wunderbar aus“, sagte er leise und beinahe etwas verlegen und ich wunderte mich, wie ein Mann wie dieser Thorin auch nur im Geringsten unsicher sein konnte.

„Danke. Um ehrlich zu sein habe ich aber nicht allzu viel dazu beigetragen. Die Locken sind Natur“, gab ich zu und suchte nach einem Kompliment, das ich ihm machen konnte. Oder besser gesagt, ich überlegte, welches ich machen konnte, ohne dass es zu plump rüberkam. Dann fielen mir die einzelnen graumelierten Strähnen in seinen sonst dunkelbraun bis schwarzen Haaren auf.  Ich musste zugeben, dass manchen Männern graue Haare manchmal beinahe besser standen als Braun, Blond oder Rot.

„Du bist die erste Frau, der das positiv auffällt“, scherzte er und erklärte mir, dass die meisten Frauen dann eher zurückgeschreckt waren, weil sie annahmen, er sei älter als er vorgab zu sein. Ich fand das allerdings Schwachsinn. Es gab genug Männer, die mit Dreißig schon graue Haare oder gar eine Glatze bekamen, und das machte sie nicht minder attraktiv. Im Gegenteil.

„Sorry, Leute. Ich weiß, ich sagte ihr, sollt euch Komplimente machen und so, aber... wir haben die Halle nur noch eine Viertelstunde gemietet. Wir müssen uns also etwas ranhalten. Immerhin müssen Dori und ich noch zusammenpacken“,  unterbrach uns die vorsichtige Stimme von Ori in unserem kleinen Zwiegespräch.

„Sollen wir einfach draufloslegen?“, fragte ich etwas überrumpelt und Ori nickte beinahe etwas unsicher. Anscheinend hatte sie vor der Reaktion ihres Cousins etwas Angst. Der nahm jedoch nun auch meine zweite Hand in seine, mittlerweile zitterten auch meine Hände leicht, und er hauchte einen leichten Kuss auf meinen Handrücken.

„Keine Sorge, es ist nur ein Kuss“, sagte er mit etwas belegter Stimme. Ich fragte mich, ob er das wirklich so sah, denn wenn ich ehrlich war, war es das für mich nicht mehr. Anscheinend hatte Ori gute Arbeit geleistet, die richtigen Leute in Paaren anzuordnen, denn wenn ich ehrlich zu mir selbst war, dann fühlte ich mich schon etwas angezogen von diesem mir eigentlich fremden Mann, von dem ich bisher nur den Namen kannte.

Ich holte noch einmal tief Luft und nickte ihm dann kurz zu. Ich war mir nicht sicher, ob ich die Augen schließen sollte oder nicht. Sollte ich meinen Kopf nach rechts oder links neigen? Sollte ich etwas auf die Zehenspitzen gehen? Dann spürte ich seine Hand, wie er mir anscheinend eine meiner unbändigen Locken aus dem Gesicht und hinters Ohr strich. Dann blieb seine Hand an meiner Wange liegen. An dieser Bewegung merkte ich, dass er wieder einen Schritt näher gekommen war und ich konnte nicht verleugnen, dass sich auf einmal von irgendwoher Schmetterlinge in meinem Bauch versammelt hatten.

Ich öffnete meine Augen leicht, um zu sehen, was er machte, und da sah ich auch schon dieses nun vollkommen sanfte Gesicht auf mich zukommen. Nun stellte ich mich doch etwas auf meine Zehenspitzen, um ihm ein Stück entgegenzukommen.

Und dann begann eine regelrechte Achterbahnfahrt. Ich sah ihn, majestätisch und mit langen Haaren vor mir stehend, in einen blauen Mantel mit Pelzkragen gewickelt, seine Skepsis mir gegenüber und seinen abschätzenden Blick. Dann auf einmal Furcht, während er und einige andere, darunter seltsamerweise auch Ori und ihr Bruder Dorian, zu mir aufsahen. Ich sah, wie Bäume brannten, wie Thorin verwundet vor mir lag und ein riesiger Wolf mit einem unheimlichen Ungeheuer auf seinem Rücken auf mich zu hielt.

Ich spürte, wie sowohl Thorin als auch ich einen Moment in dem Kuss innehielten, Stirn an Stirn gedrückt, aber er hatte mich fest in seinem Griff und machte keine Anstalten, mich loslassen zu wollen. Ob es ihm ähnlich ging wie mir? Sah er ähnliche Bilder? Ich war nicht in der Lage zu fragen, während hinter meinem inneren Auge Bilder von einer wilden Verfolgungsjagd, von einem goldenen Ring in der Dunkelheit und einem Ritt in Fässern abliefen. Ein alte Stadt, mitten auf einem See, eine Feier und dann seine Lippen auf meinen, sein muskulöser, majestätischer Körper gegen meinen gepresst in der Hitze des Augenblickes.

Ich merkte, wie seine Hände auf meinem Rücken zitterten, merkte, dass auch er anscheinend mit irgendetwas in seinem Kopf beschäftigt war, als ich das Ende der Geschichte sah. Einen riesigen, feuerspeienden Drachen, eine Stadt in Flammen und eine große Schlacht. Sein Blick, voller Wahnsinn und Betrug wegen dem, was ich getan hatte. Ich konnte den hellen, leuchtenden Stein förmlich noch in meiner Hand spüren. Ich kämpfte gegen meine Tränen an, doch was ich dann sah, brachte sie an die Oberfläche. Thorin, in voller Kampfrüstung, blutüberströmt auf dem Boden. Die Rüstung war vollkommen zerstört, einfach nichts war mehr so, wie es sein sollte. Er hatte große Schmerzen und entschuldigte sich bei mir für den Wahnsinn, der ihn gepackt hatte.

Dann spürte ich auch schon wieder seine Lippen auf meinen, warm, weich und verlangend. Meine Tränen, die mir immer noch die Wangen hinunterliefen, vermischten sich mit seinem Geschmack nach Kaffee und frisch gebackenen Keksen. Es unterbrach meine Bewegungslosigkeit und ich antwortete direkt auf seinen fordernden Mund, indem ich meine Arme um seinen Hals schlang, um mich näher an ihn drücken zu können und einen leichteren Stand zu haben. Seine Arme zogen sich nun enger um mich und ich war mir sicher, dass meine Zehen kaum noch den Boden berührten.

„Thorin“, flüsterte ich leise, während sich unsere Lippen für einen Moment trennten.

„Ich weiß“, antwortete er und seine Stimme zitterte genauso wie meine. Als er mich wieder in einen Kuss zog, hielt ich ihn nicht auf. Ich hatte ihn einmal verloren, das würde mir nicht noch einmal passieren.

Auch dieser Kuss löste wieder einen Schwall an Erinnerungen aus. Aber diesmal was Thorin kein Teil von ihnen, zumindest nicht wirklich. Ich sah einen hochgewachsenen, aristokratisch wirkenden Mann mit spitzen Ohren, wie er mir ein kleines Baby, meinen Sohn, in den Arm legte. Dichtes, schwarzes Haar krönte seinen Kopf und es sahen mich zwei blaue Augen an, die ich gedacht hatte, für immer verloren zu haben. Ich nannte ihn Frodo und um ihn zu schützen, gab ich ihn als meinen Neffen und Erben aus.

„Okay, Leute, wir haben es“, erklang dann die etwas schüchterne Stimme der jungen Frau. Ich sah sie direkt wie gebannt an und ich bat Thorin mit einem Blick, mich für einen Moment loszulassen. Doch er tat es nicht, ließ mir nur eine Hand und kam mit mir zu Ori, anscheinend von demselben Bedürfnis gedrängt wie ich.

„Keine Ursache ihr beiden“, sagte Ori mit zusammengepressten Lippen, während sie versuchte, unserer Umarmung zu entkommen. „Meine Güte! Sicher, dass ihr beiden euch noch nie begegnet seid?“, fragte sie, als sie sich langsam aus unserer Umarmung kämpfte und wir nun nur noch einander festhielten. Thorin hatte einen Arm um meine Schulter und ich meinen Arm um seine Hüfte geschlungen. So standen wir so eng beieinander, wie nur möglich. „Ich habe heute viel gesehen, aber das..." Sie schüttelte errötend mit dem Kopf.

Thorin und ich sahen uns nur etwas verlegen an. So waren wir eigentlich wirklich nicht, aber wer konnte schon damit rechnen, dass auf einmal ein ganzes Leben auf uns hereinbrechen würde, wenn wir uns küssten?

„Wie... wäre es mit... einer Tasse Kaffee nach dieser einmaligen Erfahrung, Miss Baggins?“, fragte er mich und richtete sich wieder zu seiner vollen Größe auf.

„Ich würde eine Tasse Tee bevorzugen“, erwiderte ich lächelnd und er nickte mir nur zu, während Ori anscheinend bereits anfing, alles zusammenzupacken. Und als wir uns in Bewegung setzten, hallten zwei rhythmisch übereinstimmende Gänge durch die Lagerhalle: schicke, gut verarbeitete Männerlederschuhe und hohe, rote Wildlederpumps.

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